In den böhmischen Wäldern des Deutschen Theaters

// Die Räuber nach Friedrich Schiller in einer Fassung von Joanna Praml und Dorle Trachternach //

Bevor das Publikum auch nur eine Zeile Text aus Schillers Räubern zu Ohren bekommt, wird es bereits vom Ensemble des jungen DT wieder nach Hause geschickt. Als sich jedoch keine_r der Zuschauer_innen diese Premiere am 11. Februar 2020 am Deutschen Theater entgehen lassen will, arrangieren sich die Darsteller_innen mit ihrem Schicksal und gehen kurzerhand zu einer Publikumsbeschimpfung über. Wie Handke 1966 in seinem gleichnamigen Sprechstück machen auch sie dem Publikum unmissverständlich klar, dass sie vorhaben, dessen Erwartungen an das Theater und insbesondere an sie in der Rolle der Räuber von Friedrich Schiller auf ganzer Linie zu enttäuschen.

Ein Brief des Intendanten hatte dem Projekt des jungen Laienensembles ein jähes Ende bereitet: Ulrich Khuon habe heimlich den Proben beigewohnt und traue den fünfzehn Jugendlichen schlicht nicht zu, den berühmten Stoff von Friedrich Schiller auf die Bühne zu bringen. – Den „jungen Würsten“ fehle die nötige Energie, sie seien zu angepasst, zu langweilig. Es sei andererseits skandalös, dass sie Bier aus der Kantine und Requisiten aus dem Fundus – von Sophie Rois' Degen ganz zu schweigen – entwendet haben. – Zu brav einerseits und kriminell andererseits. Die Jugendlichen finden sich schnell in einem ähnlichen Dilemma wie mit ihren Eltern wieder: Sie sollen stets die Besten sein, aber niemand traut es ihnen zu.

Jetzt aber haben die Erwachsenen das Fass zum Überlaufen gebracht: Das Ensemble radikalisiert sich und probt einfach weiter … und das Publikum wird Zeuge seiner Auseinandersetzung mit dem über 200 Jahre alten Text.

Die Jugendlichen stellen fest, dass die Konflikte und Dynamiken, die Die Räuber 1782 antrieben, sich kaum von ihren eigenen Problemen im Jahr 2020 unterscheiden. Die großen Themen Eifersucht, Liebe, Wut und Rache sind eben immer aktuell. Die biografischen Parallelen, die Darsteller_innen ziehen, sind teils rührend, aber oft eine Spur zu larmoyant. Sie betreiben die Text- und Selbsterkundung mit viel Pathos und scheinen Sturm und Drang nur brüllend, randalierend und mit großer Geste erleben zu können. Es mangelt an einem Versuch, die Kraft der leisen Töne zu erkunden: Ist nicht manches so ungeheuerlich, dass jemand es nur zu flüstern vermag? Versagt niemandem im Zorn die Stimme? Ist niemand stumm vor Glück? Willkommen und sehr passend sind in dieser Hinsicht die musikalischen Einlagen mancher Darsteller_innen, die auch mal ein zartes Gefühl transportieren.

Stark sind die Darsteller_innen immer dann, wenn sie im Chor sprechen. Diese Textpassagen haben Wucht und adeln die individuelle Erfahrung aus dem Mund der fünfzehn jungen Frauen und Männern zu einer kollektiven Wahrheit. Der Generationenkonflikt wird auf diese Weise treffend verhandelt: Die Jugendlichen von heute spüren den Druck, einen Umbruch vollziehen zu müssen, dürfen aber gleichzeitig keinesfalls gesellschaftliche Regeln verletzen. Die Überforderung, die daraus erwächst, eint sie. Hier manifestiert sich, was die ganze Inszenierung zusammenhält: Die Darsteller_innen sind im Probenprozess tatsächlich zu einem Ensemble zusammengewachsen. Das ist ihre Stärke.

Regisseurin Joanna Praml ist es gelungen, die sehr unterschiedlichen Erwartungen, Herangehensweisen und Temperamente der Jugendlichen so zu vereinen, dass sie einander befruchten. Da ist Jona, ein riesiger Schiller-Fan, der in fast akademischer Manier immer zuerst den Text befragen will. Anders als Leni, die den Text fühlen will: „The real fucking shit!“ Rio hingegen will gar nicht lange lesen, sondern lieber gleich machen. Dem Punkrocker liegt das Anarchische der Räuber.

Die Räuber von Schiller wird man in dieser Inszenierung nicht sehen, aber die werden ja in genug anderen Inszenierungen geboten. Nichtsdestotrotz begegnen uns hier Räuber im schillerschen Sinne. Sie brechen mit den Erwartungen der Erwachsenen, der Gesellschaft. Sie lassen sich von ihren Gefühlen leiten und stehen immer zusammen. Wenngleich diese Erkundung eines Meisterwerks mit deutlichen Längen für das Publikum verbunden ist, handelt es sich hier um einen charmanten und gelungenen Versuch, einen originären Zugang zu einem viel gespielten Stoff zu finden.

Ganz nebenbei wird auch noch die Frage thematisiert, ob es sich denn lohne, sich auf der Theaterbühne so abzurackern, ob diese Bretter wirklich die Welt bedeuteten und ob Theater wirklich etwas bewirken könne. Die knapp zwei Stunden, die Publikum und Darsteller_innen an diesem Abend miteinander verbracht haben, wagt man zu mutmaßen, haben sich gelohnt.

Magdalena Sporkmann

Regie: Joanna Praml
Bühne: Inga Timm
Kostüme: Johanna Katharina Leitner, Inga Timm
Musik: Hajo Wiesemann
Dramaturgie: Maura Meyer, Dorle Trachternach
Foto: Arno Declair

mit
Can Arduc, Leo Domogalski, Marie Eick-Kerssenbrock, Jona Gaensslen, Helena Golderer, Franz Jährling, Luna Jordan, Carl Jung, Philipp Mohr, Rio Reisener, Friedrich von Schönfels, Oskar von Schönfels, Laurids Schürmann, Rana Tuzlali, Leni von der Waydbrink

Ihnen gefällt, was ich schreibe? - Ich freue mich über Ihre Spende:
Show Comments