Gelungene Modernisierung

// Wassa Schelesnowa von Maxim Gorki //

Die Matriarchin Wassa Schelesnowa versucht mit aller Kraft, das Familienunternehmen ihres sterbenden Mannes zu erhalten, doch das Unternehmen ist pleite und die Familie zerstritten. Nach dem Tod des Vaters bricht der Streit um das Erbe aus, doch die Firma hat schon lange keinen Wert mehr.

Eine Thematik, die heute so aktuell ist wie 1910 als Gorki das Stück in Reaktion auf die gescheiterte erste Russische Revolution schrieb. Der Kapitalismus hat seine ganze zerstörerische Kraft entfaltet, doch auch seine Gegenentwürfe haben sich als unbrauchbar erwiesen. Kleine Familienunternehmen gehen ein, weil große Firmen den ganzen Markt an sich reißen. Die Gesellschaft zerfällt in die, die sich unter fürchterlichen Bedingungen abschuften und die, die nicht arbeiten, sondern im Status „Student“, „Sohn“ oder „Sozialfall“ verharren. Man sagt einer ganzen Generation nach, zu faul zum Arbeiten zu sein. Eine Generation, die im Leben nur das eine Ziel kennt: Spaß zu haben.

Nachdem in den letzten Spielzeiten viele Theater diesen Stoff aufgegriffen haben, hat ihn nun auch Stephan Kimmig für das Deutsche Theater in Berlin inszeniert. Er zeigt Wassa Schelesnowa in einer eigens für das Deutsche Theater erarbeiteten Fassung von Sonja Anders. Zu sehen ist eine gelungene Modernisierung des Stoffs, die den familiären Wahnsinn in einer guten Mischung von Komik und berührenden Momenten darstellt.

Wassa Schelesnowa wird von Corinna Harfouch als starke und kalte Geschäftsfrau gegeben. Doch ihr sexy-femininer Businesslook (Kostüme: Anja Rabes) vermag nicht darüber hinweg zu täuschen, dass sie noch “vom alten Schlag“ ist. Für sie zählen Arbeitsmoral, Disziplin und Durchhaltevermögen mehr als Socializing und Image. Damit stößt sie bei ihren Kindern jedoch auf taube Ohren. Pawel, herausragend berührend von Alexander Khuon gespielt, der ewige Student, hat sich aufs Faulenzen verlegt. Seinem Bruder Semjon fehlt es im Kopf und sowieso finden er und seine Frau Natalja (Lisa Hrdina) den Kapitalismus menschenverachtend und hängen dem Kommunismus an. Christoph Franken hat Semjon in seiner typischen dümmlich-sabbernd schrulligen Spielweise verkörpert. Einzig Tochter Anna, von Franziska Machens als falsches Liebchen gespielt, scheint den Kampfgeist der Mutter geerbt zu haben. Doch am Ende kämpft auch sie nur um ihr Erbe. Am bedrohlichsten aber ist Prochor (Michael Goldberg), Wassas Schwager. Er versucht aktiv, Wassa die Firma zu entreißen. Am Ende bekommt er nur Ljudmilla, Pawels Frau. Ljudmilla, von Katharina Marie Schubert als weltfremdes Sensibelchen gegeben, ist die einzige, die nicht von Geldfantasien getrieben wird. Sie ist der empfindsame Gegenpol zur kalten Berechnung der Anderen. Zusammen mit den Meisterspionen Alexander, Wassas Assistenten (Marcel Kohler), und MichailoWassiljew, dem Geschäftsführer (Bernd Stempel), entfesseln sie ein brutales Ringen um das Geschäft des sterbenden Vaters.

Schauplatz ist eine eher prosaisch ausgestaltete Bühne (Katja Haß). Zwischen Wasserkocher und Metalltisch wird gearbeitet, gestritten, geflirtet und gestorben. Das Wort regiert, und tatsächlich scheinen Sätze auf, die in Erinnerung bleiben. Wassa beklagt, dass ihren Kindern Visionen, Entschlossenheit und Haltung fehlen. Ihr Sohn Pawel „ist auf der Suche und leidet.“ – Ein vom Publikum mit verständigem Lachen empfangener Kommentar: Statt anzupacken ist die Generation “Praktikant“, bzw. “Dauerstudent“ auf der Suche nach sich selbst und bemitleidet sich angesichts der Identitätsfindungsqualen, die sie durchleiden muss. Ein anderer Satz zieht seine Schlagkraft eher aus der Logik des Stücks und trifft die Moral der Erbstreiter genau: „Man muss sündigen, um bereuen zu können. Denn nur, wer bereut, wird gerettet.“

Immer aber, wenn die Sprache versiegt, hat das Stück Längen. Schauspieler und Bühnenbild vermögen allein durch ihre Präsenz nicht genügend Atmosphäre aufzubauen, um zu fesseln. Schon die zu Anfang minutenlang Apfel-schälende Wassa erzeugt keinen Sog.

Das sind jedoch nur Abstriche an der insgesamt gelungenen Inszenierung. Besonders die sehr gute Modernisierung ist hervorzuheben. Sonja Anders hat keine besonders poetische Sprache entwickelt, aber sie trifft genau den Ton der Figuren. Ihr Text arbeitet die einzelnen Charaktere deutlich heraus. Ein Unternehmen, das nicht vielen glückt.

Magdalena Sporkmann

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