Claire kann sich die Gerechtigkeit leisten.

// Der Besuch der alten Dame von Friedrich Dürrenmatt //

Claire Zachanassian, die Protagonistin in Friedrich Dürrenmatts Tragikkomödie Der Besuch der alten Dame kehrt als Multimilliardärin in ihr Heimatdorf Güllen zurück, um sich an ihrem einstigen Liebhaber Alfred für dessen Verrat an ihr zu rechen. Am Deutschen Theater Berlin tritt die „Rachegöttin“ Claire gleich in fünffacher Ausführung in Erscheinung. Regisseur Bastian Kraft ist eine Inszenierung gelungen, die die Radikalität und das Groteske in Dürrenmatts Stück unterstreicht. Premiere war am 19. April 2014.

Claire fand als junges Mädchen mit Alfred ihr erstes Liebesglück. Als sie von Alfred schwanger ist, verleugnet der jedoch die Vaterschaft und besticht Zeugen, die ihn von Claires Bezichtigung befreien. Claire ist gezwungen, das Kind zur Adoption freizugeben und fortan als Prostituierte zu arbeiten. Im Bordell lernt sie einen vemrögenden Amerikaner kennen, der sie heiratet. Als dessen steinreiche Witwe kehrt sie in ihr Heimatdorf Güllen, den Schauplatz des einstigen Verrats durch Alfred, zurück. Sie möchte Rache nehmen. Claire hat bereits die gesamte Industrie des Städtchens heimlich aufgekauft und ist so zur Herrscherin im Hintergrund geworden. Nun bietet sie – offensiv – den Güllener Bürgern eine Milliarde, wenn diese dafür Alfred ermorden. Anfangs heucheln die Güllener noch Moral und Menschlichkeit, doch ihre Prinzipien schmelzen schnell unter der heißen Verlockung des Geldes dahin. Sie werden schwach. Alfred wird ermordet und Claires Rache reicht noch weiter. Die Güllener wähnen sich nun zwar reich, doch Claire wird sie durch ihren Besitz aller Güllener Fabriken und Werke letztlich in den Ruin treiben. Sie erkauft sich, wie sie sagt, die Gerechtigkeit.

Die Inszenierung streicht die von Brecht inspirierte Verfremdung, die in Dürrenmatts Text anklingt, deutlich in ihrer bildlichen Umsetzung heraus. Claire wird von fünf SchauspielerInnen dargestellt. Deren exzentrische Paillettenkostüme und knallroten Frisuren machen aus Claire eine Mischung aus reicher, verschrobener Lady und dem vielzitierten „Hexchen“. In der Ausstellung ihres Reichtums wirkt Claire auf alle Güllener höchst anziehend, doch ihr ausgefallener Lebensstil lässt sie gleichzeitig mysteriös-unheimlich erscheinen. In Nebenrollen spielen die Claire-Darsteller auch die Güllener Bürger. Zur “Verwandlung“ dienen ihnen einzig Pappmasken. Insgesamt überzeugen Bühnenbild und Ausstattung durch ihre Schlichtheit. Eine Art moderne Scherenschnitt-Silhouetten in Rot, Schwarz und Weiß strukturieren den Bühnenraum. In den Kostümen spiegeln sich das Farb-Trio und die Geometrie des Bühnenbildes wieder. Dadurch wird ein starker Eindruck von Künstlichkeit und Kälte erweckt, der das soziale Gefüge Güllens treffend beschreibt. Unter einer glatten Oberfläche von einer frommen, armen Gemeinde versteckt sich Egoismus und Gier. Claire durchbricht dieses Klima nur scheinbar, indem sie mit Alfred in Erinnerung an ihre große, idyllische Liebe schwelgt. In Wirklichkeit ist die gebrochen und abgestumpft. Leidenschaftlich ist sie nur noch in ihrer Rache. Sie hat Gefühl gegen Geld und Berechnung ausgetauscht und behält damit leider Recht.

Dürrenmatt führt hier die Bestechlichkeit und Manipulation der Gesellschaft vor, ohne eigentlich belehrend zu wirken. Zu grotesk und monströs ist seine Heldin. Der Kniff der Regie, Songs von der alien-artigen Lady Gaga einzuflechten geht nur mit Verzögerung auf. Leider wirken die Gesangsbeiträge Zumeist lächerlich und wir kitschige Hollywood-Einsprengsel.

Trotz mangelnder Gesangskünste halten sich die Darsteller gut. Besonders Margit Bendokat bleibt als eine der fünf Claires in Erinnerung. Sie ließ die zarte, verletzte Seele der einst jungen und verliebten Frau noch durchscheinen und strahlte doch gleichzeitig eine diebische Freude am Gelingen ihres Racheplans aus. Ulrich Matthes in der Rolle von Alfred wirkte stets wie ein Fremder in der Szenerie. Er verkörperte denn auch als der einzige, der keiner Verführung erlegen ist, ein Einzelschicksal. In durchaus unaufregendem Kostüm und durch eine Spielweise, die weniger auf einen artifiziellen Effekt abzielt erscheint er menschlicher als all die anderen Figuren. Ulrich Matthes verschleiert nicht die Angst, die die Alfred angesichts der Verschwörung gegen ihn packt. Gleichzeitig führt er die Figur durch eine charakterliche Entwicklung: Von der Angst über die Einsicht, hin zur Resignation.

Der Besuch der alten Dame ist die faszinierende Geschichte einer Frau, die sich die Macht über ihre Verräter erkauft hat. Der Regie-Einfall, Claire gleich fünffach und in allen Rollen auftreten zu lassen ist innovativ, weil er die Omnipräsenz von Claires Macht verbildlicht. Insgesamt hätte die Inszenierung jedoch etwas konzentrierter ausfallen können. Der Zuschauer hat längst verstanden, um welche Aussage es geht und dass Alfred am Ende sterben muss, während sich die Inszenierung immer noch mit den individuellen Ausprägungen der Verführung aufhält.

Magdalena Sporkmann

Claire Zachanassian: Margit Bendokat, Olivia Gräser, Katharina Matz, Helmut Mooshammer, Barbara Schnitzler
Alfred Ill: Ulrich Matthes
Roby und Toby: Alexander Rohde, Marof, Yaghoubi
Piano: Thies Mynther
Bühne: Simeon, Meier
Kostüme: Dagmar Bald
Dramaturgie: Ulrich Beck, John von Düffel

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