Das Geschäft ihres Lebens

// Glaube Liebe Hoffnung von Ödön von Horváth und Lukas Kristl //

Zwischen Anatomischem Institut und Wohlfahrtsamt spielt sich Elisabeths Leben ab. Der Mangel ist ihr stärkster Motor. Um Geld zu verdienen – sie ist Vertreterin für Korsette, Strumpf- und Büstenhalter – benötigt sie einen Wandergewerbeschein. Der kostet 150 Mark. Für diese Summe möchte sie ihren Leichnam schon zu Lebzeiten an das Anatomische Institut verkaufen. Als der Präparator erfährt, dass Elisabeth vorbestraft ist – wegen Handels ohne Gewerbeschein – zieht er sein Angebot zurück. Doch Elisabeth gibt nicht auf: Sie sucht einen Bräutigam, der sie ernähren soll.

Dass Ödön von Horváths Stück Glaube Liebe Hoffnung (Mitarbeit: Lukas Kristl) mit Ein kleiner Totentanz in fünf Bildern unterschrieben ist, verheißt nichts Gutes. Elisabeth wird die ausweglose Abwärtsspirale am unteren Ende einer Gesellschaft, in der „halt die Menschen keine Menschen sind“ nicht überleben.

Am 27. Oktober 2019 feierte das Stück in einer Inszenierung von Jürgen Kruse Premiere am Deutschen Theater Berlin.

Dieser Totentanz ist ein Reigen skurriler Personagen. Die Präparatoren, gespielt von Caner Sunar, Jürgen Huth und Bernd Stempel sind wunderliche Lüstlinge, denen ihre Arbeit an den toten Körpern eine abgebrüht-pragmatische Weltsicht verliehen hat. Bernd Stempel offenbart diese in seiner Rolle am prominentesten: Er macht Elisabeth nicht nur ein Angebot für ihren zukünftigen Leichnam, sondern ist auch ihrem lebendigen Körper durchaus nicht abgeneigt. Ob sie wohl einmal sein Terrarium ansehen kommen wolle, fragt er sie, ahnend, zu welchen Zugeständnissen die junge Frau in ihrer Not bereit ist.

Die Rolle Elisabeths ist mit Linda Pöppel exzellent besetzt. Sie zeigt eine entschlossene Kämpferin, die lange nicht verbittert ist von der Ungerechtigkeit, die ihr begegnet, sondern am Hellen, an Glaube, Liebe und Hoffnung festhält. Sie ist empfänglich für das Schöne, sie ist mutig, tapfer und aufrichtig – eine echte Heldin. Diese Schattierungen bis hin zur schlussendlich deliranten Verzweiflung zeichnet Linda Pöppel in großer Deutlichkeit.

Manuel Harder, der den Schupo spielt, dessen Liebe und Fürsorge Elisabeth zu wecken gelingt, wirkt etwas blass neben dieser eindringlichen Darbietung. Allerdings ist seine Rolle auch weit weniger dramatisch angelegt.

Nachhaltigen Eindruck hingegen hinterlässt der Bühnenraum, eine Kreuzung aus Guckkasten, Wunderkammer und Gruselkabinett. Die Bühne ist bis an ihre Grenzen ausstaffiert mit Krempel, Kitsch und Symbolik. Im Vordergrund: eine urbane Landschaft zwischen den Türen des Wohlfahrtsamtes und des Anatomischen Instituts. Das gelbe Licht der Straßenlaternen wird unversehens – rücken Tisch, Stühle und Bett hinein – zur Kammer Elisabeths, zur Stube der Dessous-Händlerin Irene Prantl (Alexandra Finder) oder zum Polizeipräsidium. Dann wird es schummrig: Im Halbdunkel des Bühnenhintergrunds ist das Reich der Engel (Frank Büttner, Julia Boxheimer, Sarah Lauks, Nina Philipp), Skelette und Kuriositäten. Ein umgekehrter Jesus am Kreuz hängt da neben Origami-Tauben. Ihr Gurren ist fast pausenlos zu hören und macht das morbide Gossen-Ambiente komplett – bis wummernde Popmusik den Szenenwechsel einleitet.

Die Opulenz dieser Bühne ist bezaubernd und zugleich erschlagend in ihrer Zeichenhaftigkeit. Neben der Handlung zwischen den sprechenden Figuren im Vordergrund finden parallel im Hintergrund stets weitere Handlungen statt, zwischen den stummen Figuren, Bühnenbild und Requisiten. Alle Nachrichten gleichermaßen zu empfangen ist beim ersten Ansehen für das Publikum wohl unmöglich. Immerhin ist der Text auch nicht gerade simpel. Im Gegenteil: Die Dialekt-gefärbte Umgangssprache, in der Horváth Glaube Liebe Hoffnung gedichtet hat, erfährt durch Verlangsamung und ungewöhnliche Akzentuierung eine Künstlichkeit, die sowohl SchauspielerInnen als auch Publikum enorme Konzentration abverlangt. Sprache scheint nicht das Mittel zu sein, mit dem hier die Welt erschaffen wird, sondern die Bilder sind es.

Das Panorama, das Kruse hier zeichnet, ist nachhaltig beeindruckend. Er kreiert ein Tableau Vivant, eine Milieustudie des Proletariats zur Zeit der Rezession. Dieser enorme Einfallsreichtum und Aufwand vermögen jedoch nicht immer über die in weiten Stecken fehlende Erzählung hinwegzutragen. Zentral für Glaube Liebe Hoffnung ist Elisabeths Kampf um ein Einkommen. Bis der – nicht unwesentliche – Sog dieser Geschichte einsetzt, vergeht lange Zeit, in der durch unzusammenhängende Szenen allein die Atmosphäre aufgebaut und zelebriert wird. Inhaltlich wird hier die Luft auf Dauer etwas dünn. Kruse erwartet vom Publikum eine Art meditative Empfänglichkeit für die Wunder, die sein Guckkasten zu bieten hat.

Magdalena Sporkmann

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Foto: Arno Declair

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