Eine politische Fragerunde zu Deutschland im Herbst 2019

// Mütter und Söhne von Karen Breece //

Verschiedene weiße Stühle stehen auf der Bühne in Kreisen um eine leere, enge Mitte. Wie man es aus Stuhlkreisen in der Schule kennt, wird hier gemeinsam gesungen, aber keine Kinderlieder, sondern Märkische Volksweisen und Rechtsrock (Musik: Christoph Cico Beck). In diesen Stuhlkreisen wird über Trauer, Wut und Scham, über das Tabu gesprochen, dass der eigene Sohn ein Nazi geworden ist.

Regisseurin Karen Breece hat für Mütter und Söhne intensiv recherchiert, mit jungen Menschen in der rechten Szene, mit ihren Müttern, ihren Opfern und auch mit jenen gesprochen, denen der Ausstieg gelungen ist. Entstanden ist ein Dokumentartheaterstück, das zweifellos hervorragendes Material zu einem aktuellen und schweren Konflikt versammelt, über die Darstellung und somit Wiederholung der realen Situation jedoch nicht hinaus kommt. Die Inszenierung feierte am 21. September 2019 Premiere und weihte damit die neue Spielstätte im Kleinen Haus des Berliner Ensembles ein.

Die Stuhlkreismetapher zerschlägt sich buchstäblich schnell, denn das Bühnenbild (Bühne: Eva Veronica Born) dient in den folgenden knapp zwei Stunden nur als Spielplatz für die zerstörungswütigen Männer in diesem Stück. Unter tosendem Lärm werden die Stühle von ihnen umgeworfen, fortgestoßen, ineinander geschoben. Darin erschöpft sich ihr Zweck.

Auf den Stühlen sitzen und stehen zwei Männer und drei Frauen. Korinna Kirchhoff und Bettina Hoppe spielen Mütter von Söhnen, die Nazis geworden sind, Laura Balzer stellt eine junge Rechte dar. Nico Holonics und Oliver Kraushaar spielen zwei junge Nazis. Breece versucht anhand der Figuren, verschiedene Motive für die Radikalisierung der Söhne und Umgangsweisen der Mütter aufzuzeigen sowie dem rechten Männerbild auch ein rechtes Frauenbild gegenüberzustellen.

Während die Positionen der Mütter klar unterscheidbar sind, verschwimmen die Identitäten der Jungen. Korinna Kirchhoff vertritt die Bürgerliche, die sich gern als antiautoritär, tolerant und empathisch sieht. Sie versucht mit grenzenlosem Willen zum Verstehen die Verbindung zu ihrem Sohn nicht abreißen zu lassen, egal wie weit dieser sich ideologisch von seinem Elternhaus entfernt. Ihre nostalgischen Erinnerungen an die Kindheit ihres Sohnes vor dessen „Rekrutierung“ sind der Strohhalm an den sie sich klammert. Ihr verzweifelter Versuch, die Normalität und Schicksalshaftigkeit der Kindheit ihres Sohnes zu betonen, wirkt umso heuchlerischer, je absurder ihre Argumente werden. Der radioaktive Regen von Tschernobyl, der am Tag der Entbindung über München niederging, könne einen Anteil daran haben, dass ihr Sohn so „aus der Art geschlagen“, so anders als ihre übrigen fünf Kinder sei. Korinna Kirchhoff erschafft diese bürgerliche Fassade meisterhaft mit einem zitternden Lächeln, flehenden Augen und schleichenden Bewegungen. Genauso treffend lässt sie sie bröckeln, wenn die braune Propaganda, die ihr Bühnensohn von sich gibt, unerträglich wird. Dann sind die guten Manieren vergessen, die Schimpfworte prasseln in einer heiseren Kaskade aus der von Wut und Verzweiflung geschüttelten Frau.

Bettina Hoppe repräsentiert hingegen die Vollzeit arbeitende, allein erziehende Mutter, die weder Geduld noch Verständnis für den Wandel ihres Sohnes aufbringen möchte, wenngleich sie ihn, wie sie betont, zu jedem Zeitpunkt liebt. Auch sie fragt sich nach der eigenen Verantwortung für das Abdriften ihres Kindes in die rechte Szene. Als sie jedoch keine bei sich finden kann, beschließt sie, deutlich Widerspruch zu leisten und klare Grenzen zu ziehen. Bettina Hoppe unterstreicht diese entschlossene Haltung einer Mutter, die hart für den Unterhalt ihrer Kinder und den Zusammenhalt ihrer Familie – auch nach der Trennung vom Vater ihrer Kinder – gekämpft hat, durch ihr festes Auftreten, eine Portion Gleichmut in der Stimme, durch ihr stets etwas gehobenes Kinn und die breit aufgestellte Körperhaltung. Glaubhaft zeichnet Bettina Hoppe den schweren mentalen Weg, den diese Mutter geht nach. Sie kämpft um die Rückkehr ihres Sohnes zu den Werten, mit denen sie ihn aufgezogen hat, und ist bereit, ihn ziehen zu lassen, als sie ihn verloren geben muss.

In einer zweiten Rolle und in nur einer Szene spielt Bettina Hoppe eine Rechte, die über die Verweichlichung der Männer durch den Feminismus herzieht und goldene Zeiten eines neuen alten Patriarchats ersehnt. Der Vergleich mit dem Verhältnis zwischen Männchen und Weibchen bei Schimpansen und Bonobos, den sie dabei als biologistische Erklärung heranzieht, kulminiert in einer animalischen Fantasie einer Herrschaft des Phallus. Bettina Hoppe fängt das Bemühen um eine falsch verstandene Wissenschaftlichkeit ihrer Figur mit großem Ernst und Eifer ein. Umso amüsanter wirkt dieser ausgemachte Unsinn. Als wäre das nicht genug, lässt sie plötzlich die Zügel schießen, sodass die Fantasie mit der zur Unterwerfung Willigen durchgeht und einen im besten Sinne komischen Fetisch offenbart. Für diese Fantasie-Orgie wird Bettina Hoppe mit einem verdienten Szenen-Applaus belohnt.

Nico Holonics spielt einen Jugendlichen, der bereits als Kind mit der rechten Szene in Kontakt kam. Dass er mit Lesen uns Schreiben arge Probleme hatte, merkten seine Lehrer und auch die Eltern nicht, wohl aber die Rechten, die an den Schulen Hausaufgabenhilfe und Freizeitangebote stellten. So lernte er schließlich anhand der Aufzeichnungen eines Wehrmachtsoldaten Lesen und Schreiben. Die Verschlossenheit, hinter der eine klaffende Leere, eine unerfüllte Sehnsucht nach ehrlichem Interesse verborgen bleibt, baut Nico Holonics wie eine löchrige Mauer um seinen empfindsamen Protagonisten auf. Der Spagat, den er zwischen dem schutzbedürftigen Kind, das seine Figur ist, und der brutalen Ideologie, der es sich mit Leib und Seele verschreibt, ist beträchtlich und wirkt bedrückend mühelos. Wie eine Erlösung kommt der Meta-Satz, mit dem er seine Person von seiner Rolle trennt: „Ich bitte den Schauspieler, der meinen Text auf der Bühne sprechen wird, zu jedem Zeitpunkt klar zu machen, dass ich allein die Verantwortung für mein Handeln trage.“

Weniger greifbar wirken die Figuren, die Laura Balzer und Oliver Kraushaar verkörpern. Ihre jungen Rechten lassen hinter der Fassade keine seelischen Räume erkennen, sind pure Ideologie. Laura Balzers Rolle beschwört die deutschen und insbesondere die mütterlichen Tugenden auf einem eigenen Video-Kanal im Internet. Ihre hyperrealistische Show ist die reinste Propagandamaschine und als solche kaum erstzunehmen, zumal sie sich durch ein leicht unterbelichtetes Püppchen verkauft. Oliver Kraushaar hingegen spielt die blanke Gewalt, psychisch wie physisch. Sein Weg in die rechte Ideologie bleibt im Dunkeln. Er wirkt fast wie ein Relikt aus der NS-Zeit, was die Rückwärtsgewandtheit der Neuen Rechten betont.

Die entscheidende Frage, nach deren Antwort Karen Breece in Mütter und Söhne sucht, scheint die nach dem Einfluss des Elternhauses – stellvertretend dafür sind die Mütter – auf die Entwicklung der Kinder zu sein. Warum radikalisieren sich diese jungen Menschen? Können ihre Eltern dem entgegenwirken und wenn ja, wie?

Eine deutliche Antwort auf die Frage nach dem Warum formulieren Mutter und Sohn gemeinsam. Er macht deutlich, wie wenig die Deutschen das Grundgesetz, den Text auf dem ihre Demokratie beruht, kennen. Die Werte und Regeln, die man verteidigen will, meint er, sollte man schon mindestens genau kennen. Der kleinste gemeinsame Nenner ist, so zeigt er, oft eine Unbekannte. Klarer wird der Gedanke, als die Mutter ihn in einer Frage formuliert: „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“ Sie weist damit auf das Fehlen einer von der Mehrheit der Gesellschaft getragenen Vision hin. Wenn die Mehrheit den jungen Menschen für ihre Zukunft keine überzeugende Vision liefern kann, tun es andere; jene, die zwar in der Minderheit, dafür aber umso lauter sind.

Im Übrigen bleibt Mütter und Söhne Antworten schuldig und begibt sich stattdessen lieber gemeinsam mit dem Publikum auf die Suche danach. Unglücklich ist, dass gerade durch den so erleichternden wie banalen Schluss, in dem Aussteiger voll Reue, Scham und Ratlosigkeit zu Wort kommen, es geradezu wie purer Zufall oder wie „Schicksal“ erscheint, ob einer Nazi wir oder nicht. Damit dämpft Breece ihren zuvor so deutlich formulierten Handlungsappell leider.

Magdalena Sporkmann

Regie: Karen Breece
Bühne: Eva Veronica Born
Kostüme: Teresa Vergho
Musik: Christoph Cico Beck
Licht: Steffen Heinke
Künstlerische Beratung: Clara Topic-Matutin

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