Nostalgie und Klischee – Eine Reise ins Land von Oz

In den USA kennt jedes Kind den Zauberer von Oz. Hierzulande aber braucht es einen kurzen Blick in Wikipedia, um sich den Plot des Märchens von Lyman Frank Baum aus dem Jahr 1900 in Erinnerung zu rufen. Die Musical Theater Society Berlin bietet nun einen fantastischen Anlass, sich von dem Stoff (aufs Neue) verzaubern zu lassen. Das Ensemble hat unter Regie von Ren Robles The Wizard of Oz in englischer Sprache als Musical auf die Bühne gebracht.

Dorothy (Rachel Hastings/Anoushka Kotak) lebt mit ihrem kleinen Hund Toto in Kansas, wo sie sich im hektischen Farm-Alltag ihrer Familie oft nicht gesehen fühlt. Sie läuft von Zuhause weg und gerät in einen Wirbelsturm. Dieser schleudert sie samt Toto in eine Zauberwelt. Dort trifft sie nicht nur auf Zauberinnen (Julia Vieregge/Emer Carew und Josefine Matthey) und allerlei andere Wunderwesen, wie die Munchkins und Jitterbugs, sondern vor allem auch auf eine Vogelscheuche (Kelly Kiesewetter/Chelisa Macharia), einen Löwen (Charles Fouquet/Flo Thielen) und einen Blechmann (Dan Carpenter/David Ressler). Diese drei werden ihre besten Freunde. Zusammen mit ihnen begibt sie sich auf den Weg zum Zauberer von Oz (Aaron Scott), der jedem und jeder von ihnen einen Wunsch erfüllen soll: Verstand für die Vogelscheuche, ein Herz für den Blechmann, Mut für den Löwen und die Rückkehr nach Kansas für Dorothy und Toto. Zusammen bestehen sie allerlei Abenteuer und beweisen dabei, dass sie bereits in sich tragen, wonach sie sich so sehnen: Verstand, Herz, Mut und ein Gefühl von Heimat.

Die Musical-Produktion der Musical Theater Society Berlin ist absolut gelungene Unterhaltung. Das zunächst spartanisch anmutende Bühnenbild belebt sich schnell durch den enormen Einsatz des gesamten Ensembles, kleine, feine Requisiten und Effekte sowie ausgesprochen fantasievolle Kostüme (Kate Greer, Lauren Stephens, Angie Cornwell, Ellen Derbyshire, Mariana Soler). Da sind tanzende Mohnblumen und sprechende Apfelbäume, düstere Wälder und sonnige Maisplantagen. Seifenblasen schweben durch die Luft, Nebel wabert über die Bühne und vom Saalhimmel rieselt Schnee. Besonders hervorzuheben ist auch der Einsatz des Lichtes (Lauren Stephens, Céline Dubil), der gekonnt Stimmungen und Räume erzeugt und so der liebevoll (aber ohne großes Budget) gestalteten Bühne Weite und Tiefe verleiht und zu einer fast filmischen Illusion verhilft.

Musikalisch und schauspielerisch herausstechend sind die Leistungen von Rachel Hastings, Kelly Kiesewetter und Dan Carpenter. Doch auch die Ensembleleistung ist vollkommen solide. Das Ensemble tanzt und singt was das Zeug hält und die Musikeinlagen sind auch dem nicht-amerikanisch-sozialisierten Ohr vertraut. Es handelt sich um die Ohrwürmer aus der Verfilmung des Wizard of Oz aus dem Jahr 1939, die sich ihren Weg auch in das popkulturelle Gedächtnis des deutschen Publikums gebahnt haben. Die sichtliche und spürbare Freude des Ensembles ist ansteckend und so sind kleine Längen, die während der dreistündigen Aufführung entstehen, schnell wieder vergessen.

Wollte man der Inszenierung etwas vorwerfen, dann vielleicht, dass sie wie eine Kopie an der Verfilmung von Victor Fleming aus dem Jahr 1939 klebt. Zwar nur eine von vielen fimischen Adaptionen des Wizard of Oz, ist diese einer der bekanntesten Filme überhaupt in den USA. Ren Robles baut mit seiner Inszenierung in der Musical Theater Society Berlin auf die Popularität dieses Films und hält sich eng daran.

Geradezu ein bisschen lästig ist hingegen, dass Dorothy als unheimlich weinerliches Mädchen porträtiert wird – gleichfalls wie in Flemings Film. Auf der einen Seite ist also ein ständig weinendes Mädchen. Auf der anderen Seite sind drei männlich konnotierten Figuren – Blechmann, Vogelscheuche und Löwe –, die zwar etwas tollpatschig erscheinen, aber letztendlich als Retter Dorothys auftreten. Diese Gegenüberstellung der eher hilfsbedürftigen weiblichen und den eher rettenden männlichen Figuren fühlt sich einfach nicht mehr zeitgemäß an.

Genauso hat die im Musical zur Schau gestellte Vernichtung böser Hexen einen bitteren Beigeschmack. Das Narrativ der bösen Hexe, die es auszulöschen gilt, zeitigte in der Vergangenheit grauenhafte reale Verbrechen, die tief verwurzelter Misogynie entsprungen sind. Solche „Hexenprozesse“ unkommentiert und ungebrochen auf der Bühne zu zeigen, ist auch mit dem Anspruch auf Werktreue nicht mehr zu rechtfertigen.

Und diesen Anspruch auf Werktreue (in Bezug auf die Verfilmung von 1939, nicht auf die literarische Vorlage) erheben Ren Robles und die Musical Theater Society Berlin in ihrer Inszenierung von The Wizard of Oz ganz eindeutig. Hier steht keine interpretatorische Tiefe im Fokus, sondern eine sehr gute Geschichte, die auf fantasievolle, detailverliebte Weise mit passionierten DarstellerInnen und mitreißender Musik zum Leben erweckt wird. Wer Lust auf eine magische Reise ins Land von Oz hat, darf sich in dieser Inszenierung entführen lassen und wird drei Stunden lang bestens unterhalten.

Magdalena Sporkmann

Fotos: Vic Ramkumar

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