Sebastian Baumgarten bringt Brigitte Reimanns DDR-Kultroman Franziska Linkerhand auf die Bühne des Gorki Theaters Berlin. Doch statt der angestrebten Aktualisierung des Stoffs verharrt die Inszenierung in dem abstrakten Kampf einer Architektin um ihre Selbstverwirklichung.
Franziska Linkerhand entscheidet sich zur Zeit der Mauerbaus gegen das bürgerliche Leben ihrer Herkunftsfamilie und für die Mitwirkung an der Verwirklichung des sozialistischen Traums in der DDR. Sie möchte sich als Architektin in Neustadt entfalten. Die Provinzstadt braucht dringend viel Wohnraum für die ArbeiterInnen der ortsansässigen Industrie. Franziska Linkerhand will in diesem gigantischen Wohnungsbauprojekt beweisen, dass die Architektur das (Zusammen-)Leben ihrer BewohnerInnen entscheidend positiv beeinflussen kann. Kurz gesagt: Franziska Linkerhand möchte den Menschen mit ihren Wohngebäuden Harmonie, einen gesunden Lebensstil und Zufriedenheit stiften. Doch sie hat nicht mit der Wirklichkeit auf dem Bau gerechnet, wo um jeden Zentimeter Fensterbreite gekämpft und Effizienz über Ästhetik priorisiert wird. Und so arbeitet sie sich an ihren Vorgesetzten, MitarbeiterInnen und den staatlichen Vorgaben fürs Bauen ab.
Auf der Bühne teilen sich Katja Riemann, Maria Simon und Alexandra Sinelnikova die Rolle der Franziska Linkerhand und besetzten reihum auch weibliche Nebenrollen. Sie sprechen Franziskas Rolle nicht erkennbar, wie von Regisseur Baumgarten angekündigt „aus verschiedenen Perspektiven“, sondern vielmehr pragmatisch abwechselnd. Der Text ist nicht einfach, ahmt kunstvoll den starren, abstrakten Duktus der Architektursprache nach. Und hin und wieder stolpern die Darstellerinnen über die ungewohnten Formulierungen. Nicht anders ergeht es den drei Darstellern, die ihnen gegenüber gestellt sind: Aleksandar Radenković, Falilou Seck und Till Wonka teilen sich die männlichen Rollen im Stück: Die verschiedenen Architekten, Franziskas Mann und Liebhaber, den Barkeeper, Arbeiter auf dem Bau.
Die von Sebastian Baumgarten angekündigte „moderne, uns gegenwärtige Frauenfigur, die sich den Zwängen des Lebens nicht kampflos anpassen kann und will“ suche ich als Zuschauerin in der Franziska Linkerhand auf der Bühne des Gorki vergeblich. Was ich sehe, ist eine Frau, die sich einem Traum verschrieben hat und diesen entgegen aller Widerstände durchsetzen will – was zunächst einmal weder gestrig noch übertrieben ist. Nur ist die Figur der Franziska Linkerhand genauso schematisch gezeichnet wie die Entwürfe auf ihrem Reißbrett. Sie ist taub und blind gegenüber der Wirklichkeit und arrogant gegenüber allen, die anders denken und arbeiten als sie. Sie meint zu wissen, wie es geht und wie es sein muss. Sie akzeptiert nicht, dass andere sich abfinden, statt wie sie zu revoltieren. Sie fordert von jedem und jeder das Träumen, das Kämpfen und den Widerstand gegen Widerstände.
Ich war Anfang Zwanzig als ich Franziska Linkerhand zum ersten Mal gelesen habe, und begeistert. Ihr Kampfgeist ist der eines jungen Menschen. Und es ist unbedingt wichtig, diesen Kampfgeist zu bewahren, auch im fortgeschrittenen Alter. Aber die zunehmende Lebenserfahrung lehrt auch, dass der Weg des Widerstandes, des Kampfes und der Revolution nicht für jede und jeden der richtige ist. Insofern erscheint mir aus heutiger Sicht das Missionarische der Franziska Linkerhand zuweilen überheblich und übergriffig.
Davon abgesehen hat der Kampf ums neue, soziale Bauen nicht unbedingt mit den „Zwängen des Lebens“ zu tun, die eine „uns gegenwärtige, moderne Frauenfigur“ auszustehen hätte. Diese Zwänge sind viel subtiler, viel unsichtbarer – und damit umso perfider. Die heutige Frau kämpft mit der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Care-Arbeit, um die gleiche Verteilung von Sorgearbeit, um gleiche Bezahlung und gleiche Karrierechancen. Sie muss sich gegen sexualisierte Gewalt und Diskriminierung zur Wehr setzen. Ihr Kriegsschauplatz ist die romantische Paarbeziehung, das Familienleben, der eigene Haushalt oder der Arbeitsplatz. Die Frauen von heute fechten ihren Kampf oft leise aus, im Stillen für sich, in stundenlangen Gesprächen mit dem Partner oder der Partnerin, mit leisen Fragen und vorsichtigen Bitten. Die Vehemenz einer Franziska Linkerhand fehlt den meisten – wohl auch, weil Frauen fürs „Lautsein“ und „Unbequemsein“ immer noch abgestraft werden.
Insofern ist Franziska Linkerhand mit ihren Kampfparolen und Beschwerden ein Vorbild. Aber die Form allein genügt nicht. Der Inhalt muss auch stimmen und Franziskas Perspektive ist zuweilen so egozentrisch, realitätsfern und repetitiv, dass der Vorwurf gegen ihr „pathetisches Gebrüll“ gerechtfertigt erscheint. Baumgarten verpasst damit die Chance, eine glaubwürdige, starke Frauenfigur mit Identifikationspotential auf die Bühne zu bringen. Franziska Linkerhands Kampf vermag nicht zu berühren.
Magdalena Sporkmann
Foto: Ute Langkafel MAIFOTO