Halb Furie, halb Grazie

// Penthesilea von Heinrich von Kleist //

Im Rahmen des Kleist-Festivals war am Maxim Gorki Theater unter anderem die schon seit Oktober 2010 zum Repertoire gehörende Inszenierung Felicitas Bruckers der Penthesilea von Heinrich von Kleist zu sehen. Die Erwartung, eine junge Regisseurin nutze die Chance, mit der Inszenierung der Penthesilea eine moderne und positive weibliche Figur zu schaffen, wurde leider enttäuscht. Dabei drängt sich diese Chance bei dem ursprünglich antiken Stoff geradezu auf.

Auf dem Schlachtfeld vor Troja treffen Griechen und Amazonen aufeinander. Penthesilea (Anja Schneider), Königin des Frauenstaates, verliebt sich im Gefecht in den Griechen Achilles (Michael Klammer) und steht damit in doppelter Weise in Konflikt mit dem Gesetzt ihres Volkes: Einerseits verbietet dieses die individuelle Partnerwahl. Andererseits schreibt das Gesetz vor, dass die Amazone den ihr vom Gott Mars bestimmten Partner im Kampf zunächst besiegen muss, um ihn dann zum sogenannten ‚Rosenfest‘ führen zu dürfen, einer Zeugungsorgie im Tempel der Diana zum Erhalt des Amazonen-Volkes. Penthesilea hingegen möchte dem Wunsch der kürzlich verstorbenen Mutter und ihrem eigenen zärtlichen Gefühl entsprechen und sich Achilles erobern. Nachdem wider erwartend er sie besiegt, täuscht er seine Niederlage vor, um sich mit ihr verbinden zu dürfen. Umso heftiger entflammt Penthesileas Kampfeslust als sie den Betrug entdeckt. Mit einer Meute fürchterlicher Tiere stürzt sie sich – selbst bestialisch anmutend – auf Achilles, der in der Absicht, sich ihr zu unterwerfen, unbewaffnet in diesen letzte Zweikampf ging. Im Liebeswahn tötet und zerfleischt ihn Penthesilea.

In Felicitas Bruckers Inszenierung liegt der Akzent auf der Verzweiflung Penthesileas über die Unvereinbarkeit ihrer Liebe zu Achilles mit dem Gesetz der Amazonen. Deutlich lässt sich die Entwicklung der Figur verfolgen: In blindem Siegeseifer tritt Penthesilea den ersten Zweikampf an, ohne ihm – geschwächt durch die vorangegangene Schlacht – gewachsen zu sein. Wie verwandelt scheint sie dann in der Illusion der Erfüllung ihrer Liebe: Statt als burschikose Amazone begegnet sie dem Geliebten nun zärtlich, verspielt und hingebungsvoll. Das Entdecken der Täuschung schließlich stürzt sie in einen Zustand der Verwirrung und grauenhaft erscheint die Rüstung zum letzten Kampf, kannibalisch die Mordtat. Anja Schneider stellt die Wandlungen der Penthesilea sehr differenziert dar und wird dem Text in ihrer Darbietung gerecht. Hingegen verliert ihre „Bühnenschwester“ Prothoe, gespielt von Julischka Eichel, in der Inszenierung erheblich an Wirkung, die ihr jedenfalls im dramatischen Text aufgrund ihrer Dialoge mit Penthesilea und der darin zutage tretenden Feinfühligkeit und Loyalität für die Schwester durchaus zukommt. Frau Eichel spricht ihren Text schlicht zu undeutlich und monoton, sodass das Verständnis leidet und ihre Rolle sich in der Inszenierun bedauerlicherweise eher als vage und marginal erweist. Zwei weitere Überraschungen auf der Ebene der Figuren hält diese Inszenierung außerdem bereit: Achilles kommt als sehr maskulin, gar manchmal als „machohaft“ daher. So widerspricht er doch der Vorstellung , die der Text beim Leser erweckt, welche sicher auch dem Wissen um die von Kleist beabsichtigte Androgynität der Penthesilea und des Achilles geschuldet ist. Dennoch gibt es, wie im Text so auch in der Inszenierung, viele Momente von Verunsicherung der Geschlechteridentitäten: Die Amazonen sind ein- oder flachbrüstig, sie ziehen wie die Männer in den Krieg, erobern sich ihren Sexualpartner und es existiert Bisexualität sowohl unter den Griechen als auch unter den Amazonen. Penthesilea und Achilles nähern sich so über die Geschlechterrollen immer weiter einander an. Schließlich findet diese Tendenz auch räumlichen Ausdruck, bis hin zur tatsächlichen Einverleibung Achilles‘ durch Penthesilea. Die zweite Überraschung bietet Meroe (Ninja Stangenberg), die gänzlich stumm auftritt. Rätselhaft mutet diese Entscheidung der Regie an. Gehör kann Meroe sich nur durch Gepolter verschaffen. Erschreckend ist darüber hinaus, dass sie, die ohnehin Benachteiligte, Opfer eines sexuellen Übergriffs der Griechen wird. Zur höchst bizarren Figur ist auch der Bote, in der Inszenierung ein junger Offizier (Albrecht Abraham Schuch) geraten, der sich als selbstzerstörerischer Trottel präsentiert – das immerhin überzeugend gespielt –, ohne dass sich dieser „Kunstgriff“ als sinnvoll und begründet beweisen kann.

Dahingegen ist die Gestaltung des Bühnenraumes gelungen und durchaus symbolgeladen: Das Bühnenbild formen zwei Holzpodeste, verbunden durch eine Brücke und eine hölzerne Rampe. Im Hintergrund befindet sich eine Art Aufzug aus Metall, in dem die Griechen auf der Bühne erscheinen. Den Amazonen, deren Handlungsanteil überwiegt, wird eher der hölzerne Bereich zugeordnet. Da Metall eher die Eigenschaften Härte und Kälte, Holz hingegen Formbarkeit und Wärme zugesprochen werden, zeigt sich hier der zugegebenermaßen eher klischeehafte, doch grundsätzlich interessante Einfall, diese Materialien mit den beiden Geschlechtern zu verknüpfen. Des Weiteren sind die Elemente Wasser und Erde vertreten: Die staubige Erde signalisiert Kriegsgeschehen, wobei das friedliche Zusammensein Penthesileas und Achilles‘ in einem Wasserbecken seinen Ort hat; so allerdings auch Achilles‘ Mord. Denkbar ist also eine Deutung des Wassers als Symbol für das Leben unter Vereinigung der widerstreitenden Prinzipien von Fruchtbarkeit und Sterblichkeit. Illustriert wird das Geschehen auf der Bühne durch zwei Projektionen, deren eine den Raum über der Szenerie trifft und in einem Vorgang des Schreibmaschine-Schreibens die Kriegslage kommentiert. Die andere ist auf die Rampe gerichtet und zeigt in Kampf-Szenen den Blick durch das Visier einer Waffe. Ist die Rampe gekippt und die Schauspieler rennen sie hinauf und rutschen wieder herunter, stellt dies das zugegebenermaßen lächerliche und überflüssige Abbild der Kriegshandlung dar. Ebenfalls eher wenig Eindruck macht die musikalische Begleitung: In Endlosschleife wird der Refrain „You are always on my mind“ immer dann eingesprengt, wenn es „romantisch“ sein soll. Erfreulich ist jedoch die Kostümwahl, insbesondere für die Gruppe der Amazonen: In einer Kombination aus dunkelblauen Anzug-Anleihen und Sportbandagen treten sie an. Leider war so viel Humor dem Outfit für das Rosenfest nicht beschieden, denn hier sollen die Mannsweiber verführerisch in Mini und niedlichem Kolibri-T-Shirt in Aktion treten. Diese Plattitüde wird immerhin gerettet durch eine neu hinzugefügte Szene, in der die Oberpriesterin den Amazonen ihren Text und die Choreografie für das Rosenfest mit hartem Drill antrainiert. So wird die Verführung zur Disziplinübung erklärt. Ohnehin muss man zugeben, dass die Figur der Oberpriesterin in der Inszenierung enorm an Witz und Eindruckskraft gewonnen hat; nicht zuletzt durch die überragende Interpretation von Nele Rosetz.

Insgesamt ist Felicitas Brucker eine solide Inszenierung gelungen. Sie hat auf die Faszination des Kleistschen Textes gesetzt und allein damit eine gute Basis für ein anregendes Theatererlebnis geschaffen. Fraglich ist, ob Frau Brucker die Klischees so weit durchschaut hat, dass sie damit in der Inszenierung spielt. Deutlich erkennbar ist es nicht. Dafür bleibt die Konzeption der Figur der Penthesilea zu wenig innovativ. Kleists Text legt sehr viel spannungsreiches Potential hinsichtlich der Geschlechterproblematik und -spezifika an. Allein, Felicitas Brucker schöpft es nicht aus.

Magdalena Sporkmann

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