// Tigermilch von Stefanie de Velasco //
Es ist Sommer und die Ferien haben gerade begonnen. Die Freundinnen Nini und Jameelah aus einer Berliner Hochhaussiedlung schmieden Pläne für diesen scheinbar endlosen Ozean aus Zeit. Schnell wird klar, welcher Wunsch keinen Aufschub mehr duldet: die Entjungferung.
In ihrem Roman Tigermilch hat Stefanie de Velasco den ganzen Wahnsinn der Pubertät ausgebreitet. Regisseur Wojtek Klemm und Dramaturgin Birgit Lengers haben Nini, Jameelah und ihre Freunde nun auf die Bühne des Deutschen Theaters gebracht. Die Inszenierung feierte am 10. Januar 2018 Premiere und überzeugte durch ihren besonders starken Jahrgang jugendlicher Laiendarsteller des Jungen DT.
Tigermilch heißt der Cocktail aus Maracujasaft, Milch und Mariacron, den Nini und Jameelah in einem umfunktionierten Müllermilchbecher zusammenrühren. Die Mixtur intus und Ringelstrümpfe an den Beinen, stellen sie sich auf die „Kurfürsten“. An ihren Freiern üben sie Sex wie Medizinstudenten das Operieren an Fröschen. So vorbereitet, erhoffen sie sich, beim „ersten Mal“ mit einem ihrer Freunde zu wissen, wie es geht und nicht wehtut. Die Jungs treffen sie auf dem Spielplatz, auf dem sie schon als Kinder gespielt haben. Das Miteinander der Jugendlichen folgt einer rasanten Choreografie, immer zwischen Spiel, Streit und Flirt.
Pubertät zu spielen, während man selbst mittendrin steckt, ist sicher eine Herausforderung. Den jugendlichen Darstellern zwischen 16 und 21 Jahren gelingt es aber bemerkenswert gut. Saron Degineh spielt eine Jameelah, die ihrer drohenden Abschiebung mit inbrünstiger Lebensfreude, hoffnungsfrohen Liebeszaubern und einer unbedingten Mädchenfreundschaft trotzt. Nini von Antonie Lawrenz in ihrer Nachdenklichkeit und Zurückhaltung hervorragend getroffen, lässt sich gern von Jameelahs Energie mitreißen. Während Prince Mohammad Arslan Chughtai in seinen Rollen als Tarik und als Freier eine kraftstrotzende und frühreife Machofigur in die Gruppe bringt, demonstriert Emil von Schönfels in der Rolle des Nico seine Männlichkeit im Umgang mit Nini lieber durch Gentleman-Verhalten und Verantwortungsbewusstsein.
Auf der Bühne – zwischen einem Automaten, der manchmal nichts, meistens aber alles Nützliche vom Kondom bis zum Regencape ausspuckt, und einem Sandkasten – spielen die Jugendlichen sich durch die ganze Klaviatur der pubertären Gefühlswelt. Einfühlsam und scharf beobachtet kommen Fragen zur Sprache, die in der Pubertät von existentieller Bedeutung zu sein scheinen: Wie fühlt sich Verliebtsein an? Wie gewinnt man die Kontrolle über den sich entwickelnden Körper wieder? Wer sind zuverlässige Freunde? Welche Mutproben gilt es zu bestehen, um die Anerkennung der anderen zu gewinnen?
Doch die Unbekümmertheit, mit der die jungen Menschen diese Fragen angehen, wird zum ersten Mal auf eine harte Probe gestellt, als eines der Mädchen schwanger ist, und erst recht, als in ihrem Freundeskreis ein Ehrenmord geschieht. Plötzlich gewinnen die Fragen nach Loyalität, Verantwortungsbewusstsein und Mut tatsächlich existentielle Ausmaße.
Wojtek Klemm, Birgit Lengers und den Darstellern des Jungen DT ist mit Tigermilch eine atemberaubend spannende und tief berührende Inszenierung des Erwachsenwerdens in einem rauen sozialen Klima gelungen.
Magdalena Sporkmann