„Wenn die Liebe genügte, wäre alles anders.“

// Caligula von Albert Camus //

„Liebe ist Nichts“, klagt der römische Kaiser Caligula nach dem Tod seiner Geliebten Drusilla. Auch seine Liebe vermochte sie nicht am Leben zu erhalten. Zugleich wird ihm bewusst: „Die Menschen sterben und sind nicht glücklich.“ Diese Erkenntnis und der unüberwindbare Schmerz über seinen Verlust führen ihn zu einer Verneinung des Lebens schlechthin. Ein Menschenleben ist ihm nichts mehr wert und so beginnt er, seine Untertanen willkürlich zu ermorden, einfach, weil er die Macht dazu hat. In Caligulas absoluter Herrschaft bleibt natürlich auch kein Raum für Götter. So ersetzt er diese kurzerhand durch seine eigene Person. Doch als wäre dies nicht absurd genug, äußert er auch den bescheidenen Wunsch, den Mond zu besitzen, und sein verängstigter Diener setzt alles daran, ihm diesen zu beschaffen, denn wenn „das Unmögliche endlich auf Erden“, so Caligula, und „der Mond in meiner Hand –, dann werde vielleicht ich selbst verwandelt sein und die Welt mit mir. Dann endlich werden die Menschen nicht mehr sterben und glücklich sein.“ Doch so weit kommt es nicht, wenngleich Caligulas Diener den Mond herbeischafft.

Albert Camus' kompromisslos grausamer Herrscher Caligula verwandelt sich nicht. Und er lässt sich auch nicht durch seine Ermordung vernichten. Vielmehr lebt er als Prinzip fort: „Nein, Caligula ist nicht tot. Er ist da, und da. Er ist in einem jeden von euch.“ Camus selbst wird von der Wahrhaftigkeit seiner Schöpfung eingeholt. – Er schrieb die erste Fassung von Caligula 1938, fasziniert von dem Gedankenexperiment eines aktiven Nihilismus. Angesichts der realen Bedrohung und Vernichtung des Menschen im Nationalsozialismus veränderte Camus Caligula jedoch dahingehend, dass die Revolte gegen den Totalitarismus mehr Gewicht gewann. Die Revolte besteht in dem schlichten, aber ganz menschlichen Wunsch, zu leben und glücklich zu sein, einfach, weil das der einzige Sinn des menschlichen Lebens zu sein scheint.

Nichtsdestotrotz ist die Zerstörungskraft Caligulas, die sich in seiner absoluten Macht entfaltet, das prägende Erlebnis, mit dem der Zuschauer dieses Dramas konfrontiert ist. Die Inszenierung von Antú Romero Nunes am Berliner Ensemble (Premiere 21. September 2017) schöpft die Faszination, die in dieser Dreistigkeit der willkürlichen Mordens liegt, voll aus. Nunes' Caligula ist ein kompromissloses Splatterstück.

Ein Blick auf die Szenenfotos im Programmheft verrät, dass zumindest Bühnenbild und Kostüme noch starke Veränderungen vor der Premiere erfahren haben. Die vormals leuchtend bunten Kostüme der Patrizier, Caligulas Untertanen, hat Victoria Behr gegen ausgeblichene und verdreckte Harlekinsanzüge und vergraute Unterwäsche ausgetauscht. Die Patrizier sind in ihrer feigen Gleichgültigkeit gegenüber der Zerstörungswut ihres Herrschers nur noch traurige und lächerliche Figuren, längst selbst von der Vernichtung ergriffen. – Sie steht ihnen aschfahl und schwarz verschmiert in die Clownsvisagen geschrieben. Auch das Bühnenbild wurde nochmals radikal verschlankt. Abgesehen von dem blutrotenroten Vorhang selbst und dahinter einem düsteren Wald aus roten Metallrohren, ist sie leer. Auch sind literweise Bühnenblut und eine Motorsäge noch die einzigen Requisiten, die angemessen erschienen. – Nichts außer Zerstörung.

Constanze Becker als Caligula bringt genug Frechheit in ihre Rolle, um die Verspieltheit und Lust, mit der Caligula töten lässt, so schockierend kaltherzig wirken zu lassen. Gleichzeitig verbirgt sie nicht die tiefe Liebe, die diese Figur zu empfinden fähig war und gibt auch dem Bewusstsein Raum, dass die eigene Boshaftigkeit keine besonders raffinierte ist. Als Pragmatiker heiligt für ihren Caligula aber der Zweck die Mittel und selbst der eigene Tod schreckt ihn nicht. Dreist reckt Constanze Becker nach Caligulas Bühnentod den Kopf wieder in die Höhe und raunt blutüberströmt dessen letzte, siegessichere Worte: „Noch lebe ich.“

Die übrigen Figuren fallen deutlich gegen Caligula ab, was weniger an der darstellerischen Qualität ihrer Spieler als an der Anlage der Rollen selbst liegen mag. Der Widerstand gegen Caligula formiert sich zwar fortwährend und gipfelt schließlich auch in der Ermordung des Herrschers, aber Caligulas Haltung, sein Nihilismus, sind so stark und kompromisslos, dass dagegen kein Argument wirklich ankommt. – „Man muss sie erschlagen“, sagt der Patrizier Cherea, der Caligulas Gedanken versteht, aber nicht verzeiht, „widerlegen kann man sie nicht.“ Er ist es auch, der den plausibelsten Ausweg formuliert: „Zweckfreie Bosheit muss man überlisten. Man muss sie immer weiter in ihre Richtung hineintreiben und warten, bis diese Logik in Wahnsinn umschlägt.“

Jenen, denen in ihrer Herrschsucht der Respekt vor dem Menschenleben abhanden gekommen ist, Wahnsinn zu unterstellen, ist – daran erinnert die Unbesiegbarkeit Caligulas – auch ein gefährliches Wegducken unter der Wahrheit, dass, egal in welchem Geisteszustand, ein Verständnis für das Morden aufkommt, und mit dem Verständnis eine Duldung.

Magdalena Sporkmann

Aljoscha Stadelmann – Helicon

Constanze Becker – Caligula

Oliver Kraushaar – Caesonia

Patrick Güldenberg – Scipio

Felix Rech – Cherea

Annika Meier – Patrizier

Drífa Hansen – Sängerin

Bühne: Matthias Koch

Kostüme: Victoria Behr

Musik: Johannes Hofmann

Dramaturgie: Sibylle Baschung

Licht: Ulrich Eh

Regie: Antú Romero Nunes

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