Sieben auf einen Streich

// Draufgängerinnen. All Adventurous Women Do von Tanja Šljivar //

Fünf Tage hat die Klassenfahrt nur gedauert, aber sieben Mädchen kehren schwanger von ihr zurück. So geschehen 2014 in Bosnien und Herzegowina. Infolgedessen ging ein Aufschrei von Eltern und Erziehern durch die Medien, denn Teenager-Schwangerschaften waren längst keine Seltenheit mehr. Es wurde über Sexualkunde in der Schule und Aufklärung Zuhause gesprochen. Über die sieben Mädchen, die schwanger von ihrer Klassenfahrt zurückkehrten, wurde vor allem gemutmaßt und geurteilt. Sie selbst kamen jedoch nicht zu Wort.

Die Autorin Tanja Šljivar gibt ihnen in Draufgängerinnen. All Adventurous Women Do eine Stimme. Das Stück wurde am 15. April 2018 im Deutschen Theater Berlin unter der Regie von Salome Dastmalchi uraufgeführt. Die sieben Darstellerinnen und Darsteller des Jungen DT lassen dabei einen vielstimmigen Chor erklingen, der vehement das Recht auf Selbstbestimmung einfordert und die Kraft dafür aus der Gemeinschaft, einer Gemeinschaft der Ungehörten, zieht.

Draufgängerinnen lässt keinen Zweifel daran: Die kollektive Schwangerschaft der sieben Mädchen ist gewollt. Zigarette in der einen und den positiven Schwangerschaftstest in der anderen Hand, feiern die werdenden Mütter ihre Empfängnis. Beim Gedanken an die Zukunft, die sie in sich tragen, schäumen Glück und Hoffnung über. Der Herzschlag der Ungeborenen vermengt sich mit den Beats schneller Rockmusik, die Mädchen tanzen. Nach Facebook, Twitter und Co. scheint sich endlich ein realer Ausweg aus der Tristesse ihres vorbestimmten Lebens zwischen dementen Großmüttern, bettnässenden Brüdern, dem geschlachteten Vieh und dem Schraubstock der Religion aufzutun. Die kollektive Erfahrung der Wandlung des eigenen Körpers und des Widerstands der Gesellschaft schweißt die sieben Teenager fest zusammen. Sie erträumen sich für ihre Kinder eine Gemeinschaft, in der jeder auf den anderen achtet, in der es eine ganze Stadt braucht, um ein einziges Kind aufzuziehen. So soll es Gesetz werden. Der Druck durch die Erwachsenen – Lehrer, Eltern, Ärzte – wächst und zwingt die werdenden Mütter schließlich, sich mit einer Abtreibung auseinanderzusetzen. Ihre Vorstellungen und Ängste schlagen sich in martialischen Zeichnungen an den Bühnenwänden nieder, flankiert von launigen Hashtags.

Bis auf einen Strauß roter Ingwerblüten ist der Bühnenraum gänzlich weiß, auf den Wänden ein Muster aus schwarzen Rautenzeichen (Bühne: Paula Wellmann). In diesem unschuldigen oder zumindest sterilen Raum, der mal ein realer, mal ein virtueller ist, bewegen sich die sieben Darsteller und Darstellerinnen als die personifizierte Sünde in knallroten Overalls (Garderobe: Sabine Reinfeldt). Tanja Šljivar schickt sie auf eine Odyssee zum fernen Ziel der Selbstbestimmung, derer die Erwachsenen die sieben minderjährigen Mütter 2014 beraubten. Dabei scheuen weder Autorin noch Ensemble drastische Worte und Gesten. Es wird geflucht, gebrüllt und im Geburtsvorbereitungskurs nicht gerade zimperlich an den Barbie-Baby-Puppen exerziert. Das harmonisch-dynamische Ensemble begibt sich in souveränen Interpretationen auf die Suche nach den Gedanken und Gefühlen der Teenager und lässt sie so über ihre Stigmatisierung als Sünderinnen hinauswachsen.

Magdalena Sporkmann

es spielten:

Peter Steden, Eren Gündar, Livia Marlene Wolf, Marthe Müller Lütken, Chenoa North-Harder, Emmi Büter, Bruno Liebler

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