// Gift von Lot Vekemans //
Schon bei der dritten Aufführung (Premiere: 9. November 2013) von Gift ist deutlich: das Deutsche Theater in Berlin hat einen neuen Publikumsliebling. Das Zwei-Mann-Stück der niederländischen Autorin Lot Vekemans entwickelt unter der bedachten Regie von Christian Schwochow einen enormen emotionalen Sog, ohne dabei auch nur einen Moment lang „pathetisch“ zu wirken.
Ein Mann (Ulrich Matthes) und eine Frau (Dagmar Manzel) treffen sich nach neun Jahren Trennung wieder. Ihre Beziehung zerbrach am Verlust des gemeinsamen Kindes, Jakob. Seitdem hat der Mann in Südfrankreich “ein neues Leben angefangen“, während die Frau in ihrer Trauer verharrt. Grund ihrer Zusammenkunft ist ein Brief, der ankündigt, dass die Gräber des Friedhofs, darunter auch Jakobs Grab, verlegt werden müssen, weil aus einer nahegelegenen Fabrik Gift ausgetreten sei. Während die beiden im Friedhofsgebäude auf das Eintreffen des zuständigen Mitarbeiters warten, entspinnt sich zwischen ihnen ein zunehmend vertrauliches Gespräch über das “Davor“ und “Danach“.
Ulrich Matthes und Dagmar Manzel gelingt es, die emotionalen Konflikte ihrer Figuren auf sehr einfühlsame Weise sichtbar zu machen. Der brillant geschriebene und sehr authentisch wirkende Dialog entbehrt nicht der tragisch-komischen, absurden Momente. Das Publikum lacht und weint zugleich. Glaubwürdig werden alle Nuancen zwischen Anklage, Wut, Trost, der Bitte um Verzeihung und dem Wunsch nach Nähe angeschlagen.
Anne Ehrlich hat einen kühlen, ungemütlichen Wartesaal auf der Bühne erschaffen, in dem das Gespräch zwischen Mann und Frau jedoch zuweilen eine fast intime und warme Atmosphäre schafft. Eindrucksvoll wird die Wirkung von Worten und ganz persönlichen Geschichten, die ganze Leben auferstehen lassen, demonstriert.
Gift wirkt deshalb so elektrisierend auf das Publikum, weil es eine Geschichte erzählt, die wahr sein könnte; die so – oder etwas anders – vermutlich jeden Tag geschieht. Traurig genug. Lot Vekemans hat einen Dialog erschaffen, der ohne große Gefühlsworte auskommt, aber durch ganz kleine Geschichten die unvorstellbaren Dimensionen der Trauer um ein verlorenes Kind eröffnet. Das Leid dieses fiktiven Paares berührt den Zuschauer zutiefst. Das Besondere aber und das Begeisternde ist die stete Hoffnung auf ein “neues“ Glück. Der Mann erwartet mit seiner neuen Partnerin ein Kind und auch die Frau scheint nur äußerlich die Hoffnung auf ein Leben nach der Trauer aufgegeben zu haben. Trotz der Erkenntnis, dass die Trauer und der Verlust ewig gegenwärtig sind und sein werden, suchen beide nach einer glücklichen Zukunft, nach einer Perspektive. Hier verliert sich niemand im Lamento. Diese Geschichte spendet Mut und Hoffnung und beweist, dass trotz eines unüberwindbaren Verlustes noch Lebensfreude möglich ist, solange man nicht aufhört zu suchen und Dinge auszuprobieren.
Magdalena Sporkmann