… dreht sich im Kreis

// Berlin Alexanderplatz nach Alfred Döblin //

Viel Geduld verlangte Sebastian Hartmann dem Publikum bei der Premiere seiner Inszenierung von Berlin Alexanderplatz am 12. Mai 2016 am Deutschen Theater Berlin ab. Nicht nur die monumentale Länge der Inszenierung von viereinhalb Stunden riss gewaltig am Geduldsfaden, auch szenisch vernachlässigte, als „abstrakt“ getarnte Szenen ließen jede Pause zur Fluchtmöglichkeit werden.

Erst die Lektüre des Programmhefts, in dem ein Gespräch mit dem Regisseur wie auch mehrere Ausschnitte aus Essays Döblins abgedruckt sind, weckte wieder Lust, über die Romanvorlage und die Gedanken ihres Verfassers nachzudenken.

Hartmann hebt als Kernaussage die Botschaft „Es geht sich besser zu zweien.“ hervor. Anhand der zwischenmenschlichen Verstrickungen und einsamen Stürze Franz Biberkopfs illustriert er in lose zusammenhängenden Szenen den Erkenntnisprozess des Protagonisten. Biberkopf folgt dem Bestreben seines Erfinders „aus einem strudelnden Wesen ein strahlendes [zu] werden.“ Statt den Zuschauer mittels einer klassischen Katharsis an diesem Aufstieg teilhaben zu lassen, folgt er dem sprunghaften Erzählen Döblins in einer „Logik des Traums“ auf Umwegen über abstrakte Begriffe und Symbole wie „Tod“, „Hiob“ oder „Engel“, Umwege, die nicht selten in eine dramaturgische Sackgasse führen.

So sehr die im Gespräch von Hartmann geäußerten Form-Prämissen einleuchten, so treffend seine Analyse von Döblins Roman-Ikone ist, so wenig gelingt ihm doch die Umsetzung seiner Erkenntnisse. Ihm widerfährt, was Döblin 1928 glänzend in Ich über die Natur beschrieb: „[…] und das meiste, was erkannt wird, ist Teilwahrheit, die man ja auch gar nicht sucht, ihretwegen, sondern sie zu benutzen. Das ist die jämmerliche Prostitution des Denkens in der technisch-industriellen-militärischen Zeit.“

Wenngleich Hartmann das narrative Element zu „verweigern“ sucht, ist es doch gerade das Weben und Lebendig-Werden einer Geschichte, was ihm am besten gelingt. Die Dialoge zwischen Biberkopf und seinen Weggefährten sind intensiv, fesselnd und berührend. Döblins rohe, authentische und darin zugleich sehr künstliche Sprache findet Widerhall in der fantastischen schauspielerischen Leistung des Ensembles. Allen voran Andreas Döhler als Franz Biberkopf erreicht in seinem Spiel eine Intensität, die die Wahrnehmung dieser Figur noch lange prägen wird. Auch die Interpretation der Mieze durch Wiebke Mollenhauer ist besonders treffend.

Auf die narrativen Szenen beschränkt, wäre die Inszenierung wesentlich wirkungsvoller, weil der eigene Anspruch des Regisseurs, „Abstraktionsvermögen und Intellektualität“ so überdeutlich aus den nicht-narrativen Szenen sprechen, dass diese nur noch plump und gewollt wirken. In ihrer Langatmigkeit drohen sie Klarheit der Sprache und des Ausdrucks zu ersticken. Geradezu unerträglich werden die wiederkehrenden (!) Schlachthausszenen, in denen der unbekleidete Benjamin Lillie buchstäblich wie am Spieß schreiend die barbarische Tötung des Viehs nachempfindet und ihm schließlich als Gekreuzigter ein Denkmal setzt. Ins Lächerliche driftet die in Endlosschleife laufende Video-Projektion des Sündenpfuhls und Molochs Berlin ab, zumal begleitet von dem entmutigenden Pop-Refrain „Time will never stop, it’s running in circles“. Jene Zeile steht geradezu programmatisch für diese Inszenierung, deren Aussage schon nach der ersten Pause nichts mehr hinzugefügt wird. Alles, was dann noch geschieht ist nur noch eine Variation derselben Regieeinfälle. Die erzwungene Brechung der Narration durch die Abstraktion schlägt fehl, weil beide Elemente sich nie berühren, nie aufeinander Bezug nehmen. Statt einer Brechung gibt es nur lauter Brüche.

Magdalena Sporkmann

mit Andreas Döhler, Edgar Eckert, Christoph Franken, Michael Gerber, Felix Goeser, Moritz Grove, Gabriele Heinz, Benjamin Lillie, Wiebke Mollenhauer, Markwart Müller-Elmau, Katrin Wichmann, Almut Zicher

Regie/Bühne: Sebastian Hartmann
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Lichtdesign/Videogestaltung: Voxi Bärenklau
Videoanimation: Tilo Baumgärtel
Dramaturgie: Sonja Anders, Meike Schmitz
Regieassistenz: Yannik Böhmer, Lena Brasch
Künstlerische Leitung des Chors: Christine Groß

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