„Wie Brösel in den Sand“

// Am Schwarzen See von Dea Loher //

Am 26. Oktober 2012 kam mit der Auftragsarbeit Am schwarzen See bereits das zweite Stück Dea Lohers im Deutschen Theater in Berlin zu Uraufführung. Andreas Kriegenburg inszenierte damit bereits zum 12. Mal ein Werk der Autorin. Die 15-jährige Zusammenarbeit macht sich in der konsequenten und stimmigen Inszenierung des Stücks Am schwarzen See bemerkbar.

Cleo (Natali Seelig) und Eddie (Bernd Moss) wohnen noch immer in der Kleinstadt am Schwarzen See. Vor vier Jahren hat ein schreckliches Ereignis diesen Ort für immer verändert. Das befreundete Paar, Else (Katharina Marie Schubert) und Jonny (Jörg Pose), ist damals fort in die Anonymität der Großstadt gezogen – oder geflüchtet. Nun kehren die beiden zum ersten Mal zurück. Während Jonny durch eine Karriere bei der Bank zu Reichtum gekommen ist, hat die eigene Brauerei Cleo und Eddie zunehmend in die Armut getrieben. Folglich wird viel von Geld und Arbeit gesprochen. Das ist der neutrale Boden, auf dem man sich begegnen kann. Immer wieder aber – besonders von der Herzkranken Else initiiert – bricht die Erinnerung an das gemeinsame Leben an diesem Ort und dessen jähes Ende durch den Smalltalk. Schließlich bahnt sich die Erinnerung einen immer breiteren Weg und die Figuren lassen Trauer zu. Sie klammern sich an die Freundschaft, die sie einst verband, doch Trost vermögen sie beieinander nicht zu finden.

Die vier Erwachsenen verspüren eine große Sehnsucht nach einem Gefühl von Heimat und Gemeinschaft. Sie hinterfragen ihre eigenen Lebensentwürfe, fragen nach dem Was-wäre-wenn-…? Sie ringen mit ihren Werten und der Verantwortung, Entscheidungen zu treffen. Am Schwarzen See handelt aber auch vom Mut zur Erinnerung und Trauer.

Andreas Kriegenburg hat Dea Lohers kraftvoller, poetischer Sprache eine extreme Körperlichkeit in seiner Inszenierung entgegengesetzt. Die Seelenzustände, das Unausgesprochene überträgt er in eindrucksvolle Bilder, Bewegungen: Eddie kratzt sich immerfort, als wolle er dieses Leben, diese Haut, in der er steckt endlich, endlich abstreifen und eine neue, passende finden. Aus lauter Verzweiflung über den Schatten, der seit vier Jahren über den vier Leben hängt, klammern sich Cleo, Eddie, Else und Jonny aneinander – und an die einstige Freundschaft, an die Erinnerungen schöner Tage, auch an das einstige Begehren, was sie füreinander verspürten. – Ein Menschenknäuel wälzt sich über die Bühne. Als Else sich mit Wasser übergießt, ist es auch das Wasser des Schwarzen Sees. Sie ertränkt sich in Erinnerung.

Dem verstörenden Spiel und der eindringlichen Sprache verstand Harald Thor eine ebenbürtige Bühne zu bieten. Die Handlung spielt sich in einem hohen, weiten, kahlen Zimmer ab. Lediglich an einer Wand hängt ein Bild von Eddies und Cleos Sohn Fritz. Ein grüner Sessel steht im Raum. Von Zeit zu Zeit ertönt Musik von Glass, Purcell und Gorecki, die wie ein eigenes Möbel im Raum wirkt. An der Rückwand des Zimmers ist ein Vorhang angebracht. Als Else, in Erwartung des Seeblicks, den Vorhang zurückzieht, erschrickt sie: Das Fenster zum See ist zugemauert, als wollte man der Erinnerung einen Riegel vorschieben. Im Laufe des Stückes aber lassen die Figuren immer mehr Erinnerung zu. Parallel dazu entsteht an der Fenster-Mauer das Bild des Sees als Kreidezeichnung.

Fast die gesamte Dauer des Stücks über sind die Schauspieler gemeinsam auf der Bühne. Dabei bespielen sie gleichzeitig verschiedene Ebenen des Raumes. Die sich fast permanent bewegende Drehbühne trägt die Figuren durch das Zimmer, sie werden langsam gegen Wände und aneinander geschoben. Diese Bewegung ist wie ein Gleiten in die Vergangenheit, ein unfreiwilliges.

Die Schauspieler sind bereit, sich dem Bewegt-Werden auszusetzen, finden erstaunliche Bewegungen in ihren Körpern, um das Leid, das Sich-Sträuben, die Erschöpfung auszudrücken. Die größten Qualitäten hat in dieser Hinsicht Bernd Moss, der seinem Eddie etwas Ver-rücktes, bedenklich Malades gibt. Natali Seelig wirkt als seine Partnerin Cleo anfangs noch bodenständiger, robuster. Man sagt, sie sei die Vernünftige, die mit Geschäftssinn. Sie verwandelt sich jedoch im Laufe des Stücks in eine Frau, die zwischen Angst, Ernüchterung, Lethargie und Abgestumpftheit schwankt. Ihr Gegenstück ist Else, gespielt von Katharina Marie Schubert. Else ist die emotionalste aller Figuren. Sie fordert die Erinnerung ein. Frau Schubert spricht Dea Lohers Text so klar und sensibel, dass die Eigentümlichkeiten der Sprache an Eindringlichkeit und lyrischer Qualität gewinnen. Eine weitere Dimension bringt Jörg Pose mit seiner Verkörperung von Jonny ins Stück: Er spielt das Lächerliche der Figur so heraus, dass dem Zuschauer trotz des schweren Stoffs der ein oder andere Lacher entschlüpft.

Starker Tobak ist Am Schwarzen See wohl. Doch Andreas Kriegenburg ist es gelungen, die Schwere in poetische Melancholie, auch in ein ästhetisches Vergnügen zu verwandeln. Text und Inszenierung katalysieren sich gegenseitig und üben eine starke Nachwirkung auf den Zuschauer aus.

Magdalena Sporkmann

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