Lecker Wut!

// Le Petit Bourgeois von Lars Werner und P14 //

Noch sitzen sie untätig herum, die Zuarbeiter der Minister für Wut. Sie langweilen sich, frieren, fangen an, sich gegenseitig zu piesacken. Ihre riesigen Puppenköpfe starren ratlos, fraglos und trübe in die Welt. Das soll sich aber sogleich ändern, denn der Vorhang hebt sich.

P14, das Jugendtheater der Volksbühne Berlin, hat am 24. Februar zur Premiere seines Stücks Le Petit Bourgeois nach einer Vorlage von Lars Werner geladen.

Wir befinden und in der vierten Dimension. Dort hungern die Minister der Wut nach neuer Nahrung, nach frischer Wut. Sie zoomen den Planeten Erde heran und scrollen über dessen Kontinente. Ihre Wahl fällt auf Berlin. Dort ist gerade eine Demo im Gange und die Minister wissen aus Erfahrung: Demo-Wut ist besonders lecker, vor allem, wenn sie von den scheinbar unbeteiligten Randfiguren stammt, wie es der achtjährige Petit Bourgeois und dessen Cousin sind.

Um die Wut in ihrer reinsten Form zu gewinnen, isolieren die Arbeiter der Wutminister die wütenden Menschen und konfrontieren Sie mit unbequemen Wahrheiten. Dem kleinen Petit Bourgeois, Kind wohlhabender Eltern, das täglich ein ambitioniertes Freizeitprogramm absolvieren muss, damit es nicht bemerkt, dass sich kein Mensch mit ihm beschäftigt, wird verraten: „Deine Eltern bezahlen die anderen dafür, dass sie mit dir zusammen sind. Du hast keine Freunde, du hast Workshops.“ Auf Anraten eines sprechenden Fahrstuhls lässt Petit Bourgeois seine Empörung über diesen Affront aber nicht heraus. Er lenkt sie stattdessen um und richtet seine Wut gegen jene, die ihm die betrübliche Erkenntnis aufdrängen. Diese Wut aber schmeckt den Wutministern gar nicht. Da sieht es mit der ehrlichen Empörung eines Mittelständlers über die Entlarvung seiner Bürgerlichkeit doch anders aus: Petit Bourgeois‘ Cousin hat früher als Punker gegen das Establishment, gegen die Spießer und die „Bourgeoisie“ rebelliert. Jetzt aber ist er erwachsen geworden und arbeitet als Werbetexter. „Mit irgendetwas muss man ja schließlich Geld verdienen“, rechtfertigt er seinen bürgerlichen, kapitalistischen Beruf. Wenigstens textet er für Bioläden und beruhigt damit sein Gewissen, immer noch einer von den Guten zu sein. Hinter der Fassade aber schlummert der Zweifel, der Unmut darüber, doch zu denen zu gehören, von denen er sich als Jugendlicher ganz deutlich distanzieren wollte. Als die Arbeiter der Minister für Wut ein wenig an dieser Fassade kratzen, wehrt sich Petits Cousin lautstark dagegen. Er wird richtig wütend!

Die Wut steht den jugendlichen Schauspielern natürlich hervorragend. Sie haben sichtlich Spaß daran, so richtig „in Brand“ zu geraten und entladen ihre Energie in einem Feuerwerk des „Furor“. Wenngleich die Leben, die Petit Bourgeois und sein Cousin führen, ungeachtet ihres Alters, sehr erwachsene sind, ist ihre Wut eine ganz jugendliche. Es ist die Wut, die dem jugendlichen Idealismus entspringen kann, dem Idealismus, der sich Biografien jenseits der bürgerlichen Norm erträumt. Der Ausbruch wird erprobt, aber häufig – so zeigt es die Erfahrung – werden aus den jugendlichen Revoluzzern später die größten Spießer.

Die Wutminister halten ihr Amt für einen Dienst an der Menschheit, denn indem sie die Wut „absaugen“, wirken sie ausgleichend, will sagen: besänftigend oder schlimmer: betäubend. Petit Bourgeois aber lässt sich seine Wut nicht nehmen. Er behält sie für sich. Hat er erkannt, dass Wut, wenn sie richtig kanalisiert wird, eine gute Triebfeder menschlichen Handelns sein kann?

Magdalena Sporkmann

P14 – Le Petit Bourgeois – ein Stück von Lars Werner – gekapert und umgeschrieben von: Alex Bäke, Zelal Bender, Juliane Bröcker, Franziskus Claus, Elias Geißler, Leonie Jenning, Caterina Kirst, Paula Knüpling, Marlene Knobloch, Lily Kuhlmann, Gerda Martin, Fee Aviv Marschall, Lena Neuber, Clemence Present, Rahel Scharabi, Nathalie Seiß, Luc Schneider, Lisa Schwarzer, Lilith Talamonti, Lucía Itxaso Kühlmorgen Unzalu, Vanessa Unzalu Troya, Pauline Wedler, Tanja Wehling, Lars Werner

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