Kennt man sich?

// Illusionen von Iwan Wyrypajew //

Am 18. Februar 2012 erfuhr Illusionen von dem sibirischen Dramatiker Iwan Wyrypajew seine Schweizerische Erstaufführung im Züricher Schauspielhaus und ist dort noch bis zum 4. April zu sehen. Karin Enzler, Patrick Güldenberg und Janina Schauer spielen unter der Regie von Julia Burger. Oder vielmehr: Die Schauspieler erzählen eine Geschichte und schlüpfen dabei abwechselnd in die Rollen der vier Figuren dieser Geschichte: Es geht um zwei alte Ehepaare – Sandra und Danny sowie Margret und Albert, die jeweils bereits seit über fünfzig Jahren verheiratet und miteinander befreundet sind. In relativ kurzer Zeit versterben die vier Personen nacheinander und der Moment des Lebensendes wird zum Offenbarungsakt: So gestehen sich die Freunde gegenseitige Liebe – quasi über Kreuz – und stellen damit ihre Liebes- und Freundschaftsbeziehungen massiv in Frage. Plötzlich ist nicht mehr sicher, dass man sich wirklich geliebt hat. Vielleicht passte man ja auch einfach nur im Alltag gut zusammen … Liebesgeständnisse provozieren eine Erwiderung und nach viel Verwirrung den Zweifel an der Liebe überhaupt.

In diesem Stück geht es nicht nur um die titelgebenden Illusionen, sondern auch um Projektionen. Für beides haben Barbara Pfyffer (Bühne), Reto Keiser (Kostüme), Daniel Leuenberger (Licht) und Renate Vonarburg (Video) eine treffende visuelle Umsetzung erreicht: Die Darsteller werden je nach der Rolle mit einem charakteristischen Kostümteil ausgestattet – ein Pelzkragen für Margret, eine Hut für Danny … – doch als Charaktere sind sie in keinem Moment greifbar. Sie erzählen fragmentarisch und – natürlich – höchst subjektiv über ihr Leben. Es wird deutlich, dass auch sie selbst sich eine Illusion aus sich und ihrem Leben gebastelt haben. Die Wahrheit ist so leicht nicht mehr wiederzufinden. Zu oft haben sie schon den Wunschtraum mit der Realität verwechselt, immer wieder die erlogenen Geschichten erzählt. Die Bühne ist ein schlichter weißer Untergrund für diese Geschichten, wird aber vielfach durch symbolträchtige Requisiten belebt. Hier zeigt sich Mut zum Kitsch: Seifenblasenpistole, Diskokugel, Planschbecken und Schaukel. Ein Kitsch, der etwas Kindliches in die Geschichten der alten Menschen trägt und damit symbolisch eine Perspektive öffnet, die dem zumeist jungen Publikum wohl noch verschlossen liegt: Ineinander sehen die vier Menschen nicht die Senioren, die Gebrechlichen, die Verbrauchten, die sie sind, sondern sie sehen immer den jungen Menschen mit, der sie einmal waren. Das Jetzt ist durchzogen von Vergangenheit, von überaus lebhaften Erinnerungen an die eigene und gemeinsame Jugend. Dieses Erinnern, das Erträumen, die Illusion zeigt sich auf der Bühne in rosarotem Licht, als Projektion auf eingezogenen Leinwänden. Die Schauspieler filmen sich selbst und sind dann überdimensional nochmals im Raum zu sehen: riesige Trugbilder ihrer selbst und voneinander.

Zu den Schauspielern muss man sagen, dass sie leider fad und blass wirkten. Allerdings erwiesen sich die Rollen auch als sehr undankbar. Im Grunde hätte es für dieses Stück keiner Schauspieler bedurft. Es wurde eine Geschichte, in der vier Menschenleben miteinander verknüpft sind, aus deren vier unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Und genau an diesem Punkt liegt das Problem: Es wurde erzählt! Da im Theater nun mal die Handlung (durch Spiel und Dialog) im Vordergrund steht, scheint eine Erzählung (aufgeteilt auf vier Monologe) doch etwas fehl am Platze. Immerhin: In der Arbeit mit dem prosaischen Stoff wurde Feingefühl bewiesen und mit den Mitteln des Theaters eine angemessene Übersetzung gefunden. Ein interessantes Projekt, jedoch auf fragwürdigen Grundfesten.

Magdalena Sporkmann

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