Sechs Millionen und neunhundertzwölf Sekunden

// In 80 Tagen um die Welt in einer Theaterfassung von Soeren Voima //

Das Kinderstück In 80 Tagen um die Welt in der Theaterfassung von Soeren Voima nach dem gleichnamigen Roman von Jules Verne hatte am 24.02.2012 im Residenztheater München Premiere. Kinder und Erwachsene applaudierten stürmisch und zeigten sich begeistert. Der Regisseurin Tina Lanik war es gelungen, eine Inszenierung zu schaffen, die für alle Altersgruppen gleichermaßen ansprechend ist.

Acht Darsteller spielten insgesamt 44 Rollen. Hinzu kamen einige Statisten und so entstand der Eindruck einer wahren Vielfalt der unterschiedlichsten Charaktere. – So verschieden wie die sieben Staaten, in denen der englische Gentleman Mr. Phileas Fogg (Johannes Zirner) auf seiner Weltreise Station macht. Grund seiner eiligen Weltumrundung ist eine Wette, die der Verfechter absoluter Pünktlichkeit mit seinen Freunden abgeschlossen hatte: Er wolle es, dank des modernen Verkehrsnetzes, schaffen, die Erde binnen 80 Tagen zu umrunden. Mit seinem Diener und Reisebegleiter Jean Passepartout (Thomas Gräßle) macht er sich auf den Weg und besteht so manches Abenteuer.

Die Kinder waren begeistert und gefesselt von der Illusion, die auf der Bühne entstand: Blütenregen, glitzernder Ozean, Schneesturm und Nebelschwaden, Wild-West-Schießereien und indischer Tanz … Ein Mini-Interieur in einem Holzhäuschen dient nicht nur als Wohnhaus des Mr. Fogg, sondern auch als Eisenbahnwagon, Ozeankreuzer und Fischkutter. Kostüme (Stefan Hageneier), Licht (Gerrit Jurda), Musik (Rainer Jörissen), zahllose Requisiten und Trickeffekte regten die Fantasie derart an, dass man mühelos die Weltreise Mr. Foggs nachvollziehen konnte. Für die Kinder wurde der Abend zum spannenden Abenteuer einer Fantasie-Reise und sie blieben bis zum letzten Augenblick aufmerksam dabei. Die Erwachsenen fühlten sich durch einige politische Anspielungen und eine reizende Situationskomik gut unterhalten. Slapstick-Elemente riefen bei Klein und Groß herzhaftes Lachen hervor. – Bezaubernd waren der Einfall, einzelne Figuren mit riesigen Puppenköpfen zu versehen, die mit ihren Schlafaugen das allgemein Entzücken erregten.

Doch mit ästhetischer Verzauberung und guter Unterhaltung allein war es nicht getan. In 80 Tagen um die Welt besitzt durchaus kritische Dimensionen. – Eine ablehnende Haltung dem kolonialen Verhalten der Engländer gegenüber wird deutlich offenbar. Das Publikum wird mit dem rüden Ton einer „political incorrectness“ der Kolonialmächte des 19. Jahrhunderts konfrontiert. Damit greift das Theaterstück allerdings auch ein aktuelles Thema auf. Zwar hat sich das Vokabular geändert, doch der politisch korrekte Begriff versteckt auch heute noch oft eine geringschätzige Haltung gegenüber den Entwicklungs- und Schwellenländern und deren Bürgern. Auch diese Haltung ermöglicht eine derart schamlose Ausbeutung der menschlichen und stofflichen Ressourcen, der dritten Welt, auf die wir unseren Lebensstandard stützen.
Eher mit einem Augenzwinkern wird die Überzeugung Phileas Foggs hinterfragt, alles in der Welt lasse sich in mathematische Formeln fassen und sei folglich berechenbar. In diesem Wesenszug spiegelt Jules Verne wohl Begeisterung und Euphorie Europäer im 19. Jahrhundert angesichts der industriellen Revolution und dem dadurch vorangetriebenen Fortschritt in den Naturwissenschaften und der Technik wider. Heute wirken diese Errungenschaften natürlich anachronistisch: Wenn Mr. Fogg schildert, wie man mit Bahn und Schiff die 41 0000 Kilometer rund um den Globus in einer Zeitspanne von mindestens 80 Tagen zurücklegen könne, müssen wir schmunzeln. – 2005 gelang es dem Amerikaner Steve Fossett, diese Strecke in 67 Stunden, 2 Minuten und 38 Sekunden zurückzulegen. Übrigens ist erstaunlich, mit welcher Treffsicherheit Passepartout einen Grund für solche Abenteuer- und Wettlust beschreibt: Die Herren besitzen zu viel Geld. – Mr. Fossett galt zwar nicht als ausgewiesener Gentleman wie Mr. Fogg, dafür aber als Millionär! Er bezahlte seine Abenteuerlust 2007 jedoch mit dem Tod.

Johannes Zirner ist es wunderbar gelungen, die Überspanntheit Mr Foggs zu verkörpern. Er bewahrte eine weitestgehend desinteressierte Miene, wirke unnahbar und gefühlskalt. In seinen Storchenschritten fanden diese Charakterzüge einen herrlichen körperlichen Ausdruck. Hervorzuheben ist auch die schauspielerische Leistung Barbara Melzls, die sich in unterschiedlichsten Rollen beweisen musste und konnte. Sie zeigte den Gentleman im Londoner Club so saturiert wie den britischen Richter in Kalkutta lächerlich und selbstverliebt oder auch die Zirkusdirektorin verführerisch und mädchenhaft.

Diese Inszenierung weckt sicherlich die Begeisterung und Neugierde des jungen Publikums für das Theater und garantiert doch auch dem erwachsenen Publikum ein paar zauberhafte Stunden.

Magdalena Sporkmann

Foto: Thomas Dashuber

Ihnen gefällt, was ich schreibe? - Ich freue mich über Ihre Spende:
Show Comments