Versuchsraum Pankow

// Pankower Theatertage 2015 //

Was wohl am eindrucksvollsten von diesen ersten Pankower Theatertagen in Erinnerung bleiben wird, ist die große Vielfalt darstellender Kunst, die der Bezirk im Nordosten Berlins zu bieten hat. In über 50 Veranstaltungen und Aufführungen konnte das Publikum (jeden Alters!) Theater in all seinen Facetten genießen. Von szenischen Lesungen über Schauspiel, Tanz, Improvisations- und Puppentheater bis hin zu Diskussionsrunden reichte das Spektrum der Theatertage. So mancher Besucher wird neue Ecken in seinem Kiez kennengelernt haben und überrascht sein, wie nah und wie zahlreich die kulturellen Angebote sind, denn die Wirkung der Pankower Theatertage erschöpft sich nicht in den einzelnen Veranstaltungen. Der Besuch einer Aufführung ist auch oft der Weg in ein ganzes Kulturzentrum.

So bietet die Brotfabrik am Caligariplatz nicht nur eine gemütliche kleine Bühne, auf der Kindertheater seinen festen Platz neben dem abwechslungsreichen Abendspielplan hat. Dort lockt auch ein Kino mit Indipendent-Filmen, zum Teil in Erstaufführung, sowie eine Kunstgalerie und Literaturveranstaltungen. Die Kultur wird in der Brotfabrik „flankiert“ von einem ansprechenden kulinarischen Angebot in der „Kneipe“, einem Schankraum, in dem das historische Flair des ehemaligen Verkaufsladens der Brotfabrik noch zu spüren ist, und der seit den 1990er Jahren zu einem echten Szenelokal des Bezirks avanciert ist. Die Terrasse im lauschigen Innenhof lässt vollkommen vergessen, dass die Brotfabrik direkt an einer geschäftigen Kreuzung steht.

Als Kostproben des Theaterprogramms der Brotfabrik wurden dem Publikum während der Pankower Theatertage u.a. das Theater ohne Probe und Kolonastix serviert. Das Theater ohne Probe entwickelt aufbauend auf einem kurzen Gespräch mit dem Publikum ein Thema, welches sodann von drei Darstellern schauspielerisch improvisiert „im Sinne von Brecht“ umgesetzt wird. Mit einem Minimum an Requisiten wird ein Maximum an Fantasie geweckt. Schlagfertig und witzig sind die Dialoge der kurzen, atmosphärisch dichten Szenen. Durch Vertrautheit, Gefühl und Risikofreude entsteht im geübten Zusammenspiel der Ensemblemitglieder eine Geschichte mit überraschenden Wendungen.

Wohl durchdacht, doch nicht minder spannend, ist Das kleine Gespenst, eine Produktion der „EmpompiekolonieAkademiSafariAkademiPuffPuff“ Kolonastix nach dem Kinderbuchklassiker Otfried Preußlers, die bereits seit 2013 Kinder wie Erwachsene begeistert. Das kleine Gespenst wird als lebensgroße Puppe abwechselnd von Jule Torhorst, Angela Hundsdorfer und Tammo Messow animiert und gesprochen. Ein bezauberndes Bühnenbild aus einigen Stoffbahnen und Koffern wandelt sich je nach Szene zur Burg Eulenstein, zum Dachboden, zum Keller oder auch zur freien Natur. Der Fantasie der Zuschauer wird hier viel Raum gelassen. Umso deutlicher fällt auf, wenn das Stück auf Klischees zurückgreift: Eine Frau im Restaurant schlürft ayurvedische Schleimsuppe, und preist deren positive Wirkung auf Gewicht und Aussehen, während ihr Mann herzhaft in den Schweinebraten beißt. Die Marktfrauen schreien entweder mit türkischem Akzent „Billig, billig!“ oder rufen mit zartem Stimmchen und auf hochdeutsch „Bio-Erbsen“ aus. Auch bei der Verwandlung des Gespenstes von einem Nacht- in ein Taggespenst sollte bedacht werden, dass Bilder und deren Bewertungen sich vor allem dem jungen Publikum als „Gesetz“ einprägen. „Natürlicherweise“ ist das (Nacht-)Gespenst weiß. Aus Neugierde treibt es sich aber eine Zeit lang als Taggespenst herum und wird von den Sonnenstrahlen ganz schwarz gebrannt. Bald stellt sich „Heimweh“ nach dem gewohnten Leben ein und es zieht sich tagsüber wieder zurück und wird erst nachts wach. Als es dann auch noch seine weiße Farbe wieder erlangt, ist das kleine Gespenst vollkommen zufrieden. Selbst abseits jeglicher „political correctness“- Ansprüche, die manch einer hegen mag, scheint dieser Dualismus doch recht fragwürdig.

Begeisterung mit Abstrichen kommt auch für die Tanzperformance ASO-Bi-Spiel des TEN PEN Chii art labor im Dock11 auf. In ästhetisch sehr beeindruckender Weise wird hier eine post-menschliche Wirklichkeit verkörpert. Man stellt sich vor, eine große Klimakatastrophe habe die Menschheit, wie wir sie kennen, auf einige wenige Individuen reduziert. Im Labor züchten diese nun ihre ausgestorbenen Artgenossen nach. Trotz technischer Perfektion verhalten sich die „Züchtungen“ aber recht unnatürlich. Von Zielgerichtetheit und Ökonomie der Bewegungen sind sie noch weit entfernt. Für den optischen Genuss ist dies wohl förderlich. Dem Minimalismus der Kostüme – die Darsteller sind (nahezu) nackt – steht die Opulenz der Bewegung gegenüber. Die drei Tänzer erschließen sich tastend-tanzend zuerst die aufblasbaren Zellen, in denen sie existieren, dann den gesamten Bühnenraum. Sie lassen sich auf ein (Bewegungs-)Spiel miteinander ein und opponieren gegen ihren Meister. Japanische Befehle aus dem Off und die technische Intervention durch den „Meister“ rufen die Darsteller wie Marionetten zur Ordnung. Darin allerdings erschöpft sich die Bandbreite der Choreografie. Sie variiert einzig zwischen der Kontrolle und dem Kontrollverlust über die „Geschöpfe“. Dass zuletzt der Meister von seinen Geschöpfen gefangen genommen wird, und damit die Rollen umverteilt werden, ist eine wenig originelle Idee. Gerade ein so schwerwiegendes Thema erfordert eine ambitioniertere Dramaturgie, um als Kunstwerk auch wegweisend zu wirken.

Die Diskussion der Qualität der einzelnen Inszenierungen soll aber bei der Besprechung und Wahrnehmung der Pankower Theatertage nicht im Vordergrund stehen. Es geht, so scheint es, darum, die Spielstätten auch als Experimentierfelder vorzustellen. Das eben ist ihre besondere Freiheit und ihr Vorzug gegenüber großen, etablierten, aber dadurch auch stärker zensierten Bühnen. Die relative Unabhängigkeit kleiner Bühnen bietet Raum für Risiko, Vielfalt und Versuch. Im schlimmsten Fall, so wendet auch das Theater ohne Probe mit Brechts Worten ein, „ist es leichte Unterhaltung“. Im besten Fall, wird man überrascht, erlebt eine Authentizität und Originalität des Theaters, die in festgesetzten Strukturen nicht möglich ist. Das Dock11 beispielsweise ist gerade für seine starke ästhetische, formale und thematische Offenheit bei einem unkonventionellen Publikum beliebt.

Im besten Sinne wird so das Publikum nicht nur während der Pankower Theatertage von verschiedenen Theaterformaten im Bezirk überrascht, sondern hat durch die „Theaterhäppchen“ auch Appetit bekommen, in den folgenden 11 Monaten auf schaulustige Erkundungstour durch Pankow zu ziehen. Das Angebot ist unerschöpflich und das Gute liegt – hier kann man guten Gewissens zu dieser Wendung greifen – so nah!

Magdalena Sporkmann

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