Karnevalsgetöse

// Was ihr wollt von William Shakespeare //

„So voller Hirngespinste ist die Liebe, dass man sie selbst leicht für eine Einbildung halten kann.“ – Graf Orsino liebt es, zu lieben, doch Gräfin Olivia findet es noch viel schöner, geliebt zu werden. Ja, wenn dann auch noch der Richtige die Liebe erwidert … Ganz so einfach ist das in Shakespeares Was ihr wollt aber nicht. Wie es sich für eine Shakespeare-Komödie gehört, müssen zunächst einige Verwechslungen aufgeklärt werden, bevor sich am Ende doch die Paare glücklich finden. Dass es dabei nicht immer eben sanftmütig zugeht, versteht sich von selbst, und dass viel Erotik in der Doppeldeutigkeit der Verse steckt, sowieso.

Stefan Pucher hat seine Inszenierung am Deutschen Theater Berlin mit einer gehörigen Portion Sex versehen und die grellen Figuren durch alle Höhen und Tiefen der hormonellen Achterbahn geschickt. Das ist ein lautes, deftiges und ästhetisch durchaus gelungenes Spektakel. Im Zusammenspiel aller Teile wirkt die Inszenierung aber überfrachtet und entbehrt dadurch jeglicher Klarheit.

Einmal abgesehen von den herausragenden, da originellen, Kostümen (Annabelle Witt), die konsequent eine ästhetische Linie verfolgen und den Charme der einzelnen Charaktere unterstreichen, macht die Inszenierung einen unharmonischen Eindruck. Das Programmheft spricht von einem „dezentrierende(n) Moment“ (Stephen Greenblatt: Dichtung und Reibung) der Handlung und es scheint, als fehle auch der Inszenierung ein konsistenter Kern. Das Bühnenbild (Barbara Ehnes) ist eindrucksvoll und wandelbar, aber es beraubt seine einzelnen Elemente durch seine Fülle ihrer Wirkung. Ein wundervolles nautisches Vehikel beispielsweise, in dem Graf Orsino sich durch seine verworrenen Gefühle manövriert, kann seinen kindlichen Zauber kaum entfalten, schon wird es wieder von anderen „Attraktionen“ in den Hintergrund gedrängt.

Die durchgehenden Videoprojektionen sind einfallsreich und optisch ansprechend. Chris Kondek und Phillip Hohenwarter erinnern mit Großaufnahmen von Seepferdchen an die ungewöhnliche Rollenverteilung im „Liebesleben“ dieser Spezies. Auch wird die aufgrund von Doppelbesetzungen problematische Darstellung der letzten Szene mit einem Video überzeugend gelöst: Katharina Marie Schubert, Susanne Wolff und Andreas Döhler spielen jeweils zwei Charaktere, die sich aber in der letzten Szene allesamt begegnen sollen. Ein animiertes Panorama der Figuren löst dieses Problem. Dennoch strapazieren auch die Videodesigner zuweilen ihr Medium über Gebühr, etwa wenn sie Spermien und Penisse wie einen Fischschwarm vorüberziehen lassen. Dass in Puchers Inszenierung Sex eine große Rolle spielt, ist ohnehin vollkommen klar. Das Video amüsiert zwar, fügt der Deutung aber nichts Neues hinzu und wirkt ein wenig wie ein flacher Schuljungen-Witz.

Musikalisch wartet die Inszenierung zwar mit Live-Klang-Installationen (Michael Mühlhaus und Masha Qrella) und Gesangseinlagen der Darsteller auf (Musik: Christopher Uhe), eine Steigerung im positiven Sinne erfährt der Gesamteindruck aber dadurch nicht. Zweifelsohne ist Was ihr wollt ein besonders musikalisches Stück. Auch gab es Musikdarbietungen im Elisabethanischen Theater vollkommen losgelöst von der Handlung des Stücks, zur reinen Unterhaltung. Jedoch engagierte man damals ausschließlich professionelle Musiker für diese Szenen. Feste beispielsweise wurde in der Aufführungstradition von Was ihr wollt immer wieder mit herausragenden Sängern besetzt. Tatsächlich wären die zahlreichen Lieder dann auch ein wirklicher Genuss.

Nicht zuletzt ist auch die Neuübersetzung von Jens Roselt – nicht nur im Wortsinn – als ungereimt zu nennen. Hier wird eine eher getragene Sprache immer wieder von zeitgenössischem Gossen-Slang durchschossen und regelrechte Fehlübersetzungen knistern hörbar im Gebälk. Andererseits erklärt diese Übersetzung zu viel und unterschätzt damit ihr Publikum gewaltig.

Licht in diesem Dunkel spendet die hervorragende Leistung insbesondere der Schauspieler Katharina Marie Schubert und Wolfram Koch. Frau Schubert verfügt über eine wichtige Eigenschaft ihrer Figur Viola/Cesario: Sie hat „wit“ – Verstand und Witz. Pikant würzt sie die verkleidete Viola mit bitterem Liebeskummer, scharfem Geist und süßem Charme. Wolfram Koch verhilft Malvolio, einer heimlichen Hauptfigur des Stücks, zu dem nötigen Charisma. Ohne Scheu macht er sich – ganz im Sinne des Stücks – zum Narren, ohne dabei die Würde einzubüßen, deren Verletzung aus Malvolio letztendlich eine auch tragische Figur macht.

Bern Moss schließlich gelingt es durch seine urkomische Interpretation, Sir Andrew zu einer Aufmerksamkeit zu verhelfen, die das Stück eigentlich für diesen Charakter nicht vorsieht. Er macht ihn zu einer beim Publikum sehr beliebten Nebenfigur.

Insgesamt erschöpft sich die Aufnahmefähigkeit des Publikums durch die übermäßige Illustration in dieser Inszenierung sehr bald und auch in der Erinnerung mag sich kein klaren Bild zeigen. Stefan Pucher hat Shakespeares derben, aber poetischen Humor mit einem Faschingsklamauk verwechselt. Seinen Karnevalswagen aber hat er zu stark beladen; der bricht unter dieser Last zusammen und bleibt mit der Aussage auf der Strecke.

Magdalena Sporkmann

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