Daheim in Slawa

// In Zeiten des abnehmenden Lichts von Eugen Ruge //

Seit dem 28. Februar 2013 ist die Bühnenfassung des preisgekrönten Romans In Zeiten des abnehmenden Lichts von Eugen Ruge im Deutschen Theater Berlin zu erleben. Der Autor selbst hat die Bühnenfassung erarbeitet und das Stück wurde von Stephan Kimmig inszeniert. Obwohl Eugen Ruge als erfolgreicher Dramatiker bekannt ist, gelang es ihm nicht, seinen Roman in ein gutes Theaterstück umzuarbeiten. Die erzählende Form vermag nicht, auf der Bühne die nötige Spannung aufzubauen, um das Publikum über die dreistündige Spieldauer zu fesseln.

In Zeiten des abnehmenden Lichts ist ein zeitgeschichtliches Narrativ über die Erfahrungen vorrangig Ostdeutscher und Osteuropäischer Menschen zwischen 1950 und 2001. Ihr Erleben des politischen und gesellschaftlichen Wandels wird durch die individuellen Perspektiven einer Familie gespiegelt. Eugen Ruge, Sohn des DDR-Historikers Wolfgang Ruge wählt für seine Erzählung der Wende-Geschichte höchst subjektive, familiäre Quellen. Vier Generationen lassen den Zuschauer an ihrer persönlichen Wende-Erfahrung teilhaben. Damit wird ein großes Identifikationspotential geschaffen. Oftmals lassen die Lacher im Publikum jedoch erkennen, dass nur ein Bruchteil der Zuschauer die Anspielungen auf beispielsweise den DDR-Alltag tatsächlich versteht. Die Erfahrung, Geschichte könne nie allgemein, sondern immer nur individuell sein, wird spürbar.

Abgesehen von dieser Meta-Ebene vermag das Stück erzählerisch jedoch nicht zu bewegen. Zu langatmig sind die Erzählungen geblieben, zu wenig wird die narrative Form ins Dialogische aufgebrochen. Jeder spricht nur für sich. Schade eigentlich, dass kein Gespräch möglich scheint. Schade und dabei auch der Wirklichkeit sehr nah.

Eindringlich bleibt Baba Nadja, die Großmutter aus Russland, in Erinnerung. Schauspielerin Margit Bendokat hat ihrer Figur eine große Lebendigkeit und Authentizität verliehen. In ihr werden kulturelle Fremdheit und unauflösliche Isolation deutlich. Sie schwelgt in verklärenden Erinnerungen an die “alten Zeiten“ und steht der (westlichen) Gegenwart mit Unverständnis und amüsiert-überlegen gegenüber. Sie genießt allen Komfort des sagenhaften Sozialstaats Deutschland und doch lebt sie eigentlich noch immer in Russland; oder Russland in ihr. Ihr Lieblingssatz lautet: „Das glaubt mir in Slawa doch niemand.“ Die Gegenwart scheint wie ein Traum. Mit singender Stimme und seligem Lächeln fängt Margit Bendokat dieses Traumwandlerische treffend ein.

Lobenswert ist auch die Regiearbeit von Stephan Kimmig. Er hat die großen Zeit- und Orts-Sprünge des Romans in einem Punkt zusammengeführt. Die Bühne ist eine wandelbare Wohnung, deren Wandschränke alles bereithalten, wonach die jeweilige Szene atmosphärisch verlangt. Im Hintergrund “hocken“ alle Individualschicksale geduldig in einer Reihe auf dem Sofa und warten, bis sie endlich dran sind mit Erzählen. Der momentane Erzähler sucht seine Erfahrung eindringlich zu vermitteln und doch sind alle anderen Teile, aus denen (die) Geschichte besteht, immer präsent.

Der eigentliche Reiz der Erzählung liegt darin, dass deutlich wird, wie subjektiv Geschichte und auch Geschichtsschreibung sind. Es gibt nicht “die eine Geschichte“ zum Beispiel der DDR-Bürger, sondern so viele Geschichten wie es Menschen gibt, die sie erlebt haben. Durch seine Multiperspektivität weist Ruges Roman diese Dimension auf. Allerdings genügt er so als Roman. Die Theaterfassung steht ihm nach, weil sie sich nicht von der narrativen Form gelöst hat und somit die Bühne eigentlich ablehnt. In stiller Lektüre nur lässt Ruges Text wie ein Prisma die Vielfarbigkeit der Erfahrungen aufscheinen, die allesamt als Wende-Geschichte gelten.

Magdalena Sporkmann

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