Psychogramm eines Mörders

// Woyzeck von Georg Büchner //

Am Bühnenhorizont zwei Figuren, die Silhouetten eines jungen Mannes und einer Frau. Bald krümmt sie sich unter Messerstichen, die seine Hand, scheinbar im Selbstlauf, ihr zufügt. Sie ringen einander nieder. Dann lieben sie sich. Als eine Masse Mensch rollen sie beiden, im gewaltsamen Liebesakt, die Rampe bis an den Bühnenrand hinunter. Der arme Soldat Woyzeck und seine Marie: Das Paar, das trotz inständiger Liebe zueinander und zum gemeinsamen Kind scheitert. Das Prinzip Liebe scheint obsolet in einer Zeit der Verrohung und Abstumpfung. Krieg bestimmt auch die zwischenmenschlichen Beziehungen. Der Tamburmajor verführt Marie mit einem Paar Ohrringe. Sie weiß, sie handelt unrecht, doch ihr Trieb siegt über die Moral. Dem General ist es Genuss, Woyzeck die Untreue seiner Frau aufzudecken und ihm damit die einzige Sicherheit im Leben zu nehmen, seine kleine Familie. Woyzeck sieht in Maries Verfehlung die Bestätigung dessen, was er ohnehin schon lange spürt: Der Gesellschaft und den Menschen ist nicht zu trauen. In seiner bitteren Enttäuschung ermordet Woyzeck Marie.

Das unvollendete Drama Woyzeck von Georg Büchner wurde am Deutschen Theater Berlin von Sebastian Hartmann in einer Weise inszeniert, die den fragmentarischen Charakter des Stücks hervorhebt. Die Premiere fand am 3. Oktober 2014 statt.

Hartmann lässt zwei Darsteller, Benjamin Lillie und Kathrin Wichmann, zusammen mit dem Musiker Ch. ‚Mäcki‘ Hamann alle Rolle gemeinsam erzählen. Durch improvisierte Passagen entsteht dadurch bei jeder Aufführung ein neues Gesamtbild. Für den Zuschauer ist das bisweilen eine ziemliche Herausforderung. Zwar schafft Hartmann atmosphärisch starke Szenen, jedoch vermögen diese nicht über die gesamte Dauer der Vorstellung zu fesseln. Da hilft auch nicht, dass Lillie sich entblößt und wie wild mit seinem Penis herumschleudert oder an anderer Stelle amüsant in einer lautmalerischen Fantasiesprache fabuliert.

Auch das Verhältnis von Text und Interpretation ist ein wenig unausgewogen. An mancher Stelle wird ein und dieselbe Phrase bis zur Heiserkeit wiederholt, an anderer Stelle wiederum wird ein Monolog wie Fernsehnachrichten heruntergesagt. Mit Inbrunst stürzen sich die Schauspieler auf dionysische Textpassagen. Inhaltlich komplexere Teile werden deutlich und betont, aber viel zu nüchtern dargeboten. Immerhin beweisen Lillie und Wichmann im Übrigen, dass sie leidenschaftlich spielen und sich tief in ihre Charaktere hinein versetzen können. Lillie findet unheimliche Fratzen, in die wir als Abgrund des Wahnsinns blicken. Wichmann ist mit ihrer sich überschlagenden und brüchig werdenden Stimme, dem irren Gelächter und ihrem katzengleichen Kriechen seine kongeniale Partnerin.

Das Bühnenbild (Sebastian Hartmann) trifft die Stimmung, die Woyzeck verbreitet, sehr gut: Ein schwarz lackierter, nach hinten hin enger werdender Raum, an dessen Ende eine Art Himmel oder Ausblick steht. Auch, wenn Sonnenlicht herein gestrahlt wird und Gräser sich im Wind wiegen: In diesem beengenden Verlies wird niemals Tag.

Die dramatischen Höhepunkte – der gemeinsame Mord der Eltern an ihrem Kind und Woyzecks Hinrichtung Maries – werden von Anfang an immer wieder in der Inszenierung zitiert. Es geht Hartmann nicht um die Zuspitzung der Handlung, so scheint, es, sondern darum, ein Panorama von Woyzecks Geisteszustand zu erstellen. Darin folgt er dem Interesse des Autors, der fasziniert von der geistigen Verfassung eines Mörders war. Atmosphärisch ist dies zweifelsohne gelungen. Allerdings fehlt es der Inszenierung deutlich an einem Plot. Wichtige Teile gegen Ende der Aufführung gehen spurlos an dem unaufmerksam gewordenen Zuschauer vorbei.

Magdalena Sporkmann

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