Grenzen, Mauern und Zäune

// Between the Lines. Briefe aus Bissau //

Wenn sich im Bühnenbild von Between the Lines. Briefe aus Bissau Reihen weißer Schnüre mit der Projektion von Filmaufnahmen aus Guinea-Bissau vor und zurück, auseinander und zusammen schieben, dann nimmt der Zuschauer dabei auch eine Verschiebung und ein Verschwimmen von hier und dort, Afrika und Europa, von Gegenwart und Vergangenheit wahr. Buchstäblich zwischen diesen Linien werden Stimmen laut, die von Auswanderung und Fremdsein erzählen. In der Stückentwicklung von Auftrag : Lorey (Bjoern Auftrag und Stefanie Lorey) und der Filmemacherin Kolja Kunt findet eine sehr behutsame, poetische und einnehmende Annäherung an eine ganz besondere deutsch-afrikanische Geschichte statt. Die Premiere war am 30. September 2017 Deutschen Theater Berlin.

Den Ausgangspunkt für Between the Lines. Briefe aus Bissau, bildete ein Konvolut aus Briefen von Kolja Kunts Tante Gabriele. Sie wanderte in den 70er Jahren von Erfurt nach Guinea-Bissau in Westafrika aus und lebte dort bis zu ihrem Tod vor ein paar Jahren. Auftrag : Lorey und Kolja Kunt folgten Gabrieles Spuren in Guinea-Bissau mit der Kamera und lernten dort Gabrieles Familie und Freunde kennen. – Freunde wie den Musiker Franck Bidin, den Kolja Kunt mit Kompositionen für Between the Lines. Briefe aus Bissau beauftragt. Um diese aufzunehmen, lädt sie Franck nach Berlin ein. So wie Gabriele in den Briefen an ihre Mutter aus den 70er, 80er und 90er Jahren ihre Erfahrungen in Guinea-Bissau schildert, drückt Franck in Liedern und Erzählungen sein Erstaunen über alles, was in Deutschland anders ist als in seiner Heimat, aus. Beide verlassen dabei ihre ursprüngliche Perspektive, loten in der Erfahrung der Fremdheit ihre Identität neu aus und suchen nach Worten, um ihren neuen Blick auszudrücken.

Diese Worte fehlen zuweilen. – Weil die Staatssicherheit Gabrieles Briefe immer mitliest und sie deshalb manches lieber zwischen die Zeilen „schreibt“. – Oder aber weil man manches nicht in Worte fassen kann; dann machen die Filmbilder von Kolja Kunt das schwarz-weiße Bühnenbild farbig (Bühne und Kostüme: Viktor Reim) und es ertönen die Kompositionen von Franck Bidin. Da dieser nach dem Ablaufen seines Arbeitsvisums wieder zurück nach Guinea-Bissau reisen musste, spielt Djelifily Sako sie für ihn live auf der Bühne. Er lässt sein wunderschönes Saiteninstrument zurückhaltend und ganz melodisch erzählen. Francks Gesang wird per Video in den Raum projiziert und von Natali Seelig und Süheyla Ünlü übersetzt.

Kathleen Morgeneyer, Natali Seelig und Süheyla Ünlü lesen aus den Briefen Gabrieles und Koljas. Während Kathleen Morgeneyer und Natali Seelig dies mit viel Einfühlungsvermögen und Ausdruck tun, ist Süheyla Ünlü noch ihre Unsicherheit anzumerken, der gewiss mit einer besseren Textkenntnis zu beizukommen ist. Auch Djelifily Sako erzählt – von (s)einem Ankommen in Deutschland und den damit verbundenen Verwirrungen. So, wie das in Guinea-Bissau gesprochene Créole Sprachen und Einflüsse mischt, verschwimmen all diese Berichte und synästhetischen Eindrücke zu einer einzigen Geschichte. Dabei wird eine Überlegung Koljas über die Bildung des Konjunktiv im Créole bedeutungsschwer: Sie rahmt das Verb in Formen der Zukunft und Vergangenheit ein und denkt, so in der Schnittmenge den Konjunktiv zu erhalten. – Die Bühnenhandlung von Between the Lines. Briefe aus Bissau oszilliert genau so zwischen Zukunft und Vergangenheit. Dabei entsteht eine mögliche Geschichte der Auswanderung und Wanderung zwischen Afrika und Europa. Damals wie heute, dort wie hier erzählt sie von Grenzen, Mauern und Zäunen und davon, wie diese überwunden werden.

Magdalena Sporkmann

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