Nimmer nimmer erwachsen werden!

// Peter Pan von James Matthew Barrie //

Am 17. April 2013 feierte Peter Pan in der Inszenierung von Robert Wilson am Berliner Ensemble Premiere und schon jetzt zeichnet sich angesichts der Besucherzahlen und einem begeisterten Publikum der Erfolg dieser Inszenierung ab. Zu Recht: Robert Wilson hat mit seiner typisch artifiziellen, effektvollen und illusionistischen Regiearbeit den Kern des Stücks getroffen: die überbordende Kinderfantasie.

Diese Fantasie – das weiß Peter Pan (Sabin Tambrea) – ist durch das Erwachsen-Werden gefährdet. Peter aber möchte immer ein kleiner Junge bleiben und so läuft er von seinen Eltern davon und lässt sich auf einer fiktiven Insel namens Neverland samt Gleichgesinnten, den „verlorenen Jungens“, nieder. Mit Indianern, Nixen und den gegnerischen Piraten unter Kapitän Hooks (Stefan Kurt) Kommando erleben sie dort allerhand Abenteuer. Peters engste Vertraute ist die Fee Tinkerbell (Christopher Nell). Sie hat ihn das Fliegen gelehrt und so fliegt er eines Abends zu Familie Darling. Die Eltern (Traute Hoess und Martin Schneider) sind aus dem Haus, doch ihre Kinder Wendy (Anna Graenzer), Michael (Andy Klinger) und John (Stephan Schäfer) sind bald hellwach und schließen sich begeistert dem von Neverland schwärmenden Peter Pan an. Wendy, selbst noch Kind, übernimmt in Neverland die Mutterrolle für die „verlorenen Jungens“. Das Heimweh aber packt die Kinder doch nach einiger Zeit und auch die verlorenen Jungens sehnen sich nach einem Elternhaus. Einzig Peter Pan bleibt seinem Vorsatz, niemals wieder in die Welt der “Großen“ zurückzukehren und somit zwangsläufig eines Tages selbst erwachsen zu werden, treu. Lieber wolle er sterben, als nicht mehr Kind und bar jeglicher Autorität sein zu dürfen. Die Trennung von Wendy fällt ihm schwer, hat er sie doch sehr lieb gewonnen, aber er lebt kompromisslos seinen Traum, könne gar nicht anders, sagt er. So kehren Wendy und ihre Brüder samt der übrigen „verlorenen Jungens“ zu ihren Eltern zurück. Mutter und Vater Darling schließen nicht nur freudestrahlend die eigenen drei Kinder in die Arme, sondern adoptieren sogar die ganze Jungenschar aus Neverland.

Die Geschichte von Peter Pan ist hinlänglich durch zahllose Bearbeitungen bekannt, doch die Inszenierung am Berliner Ensemble betont den zentralen Konflikt des ursprünglich für Erwachsene von James Matthew Barrie geschriebenen Bühnenstücks (Dramaturgie Jutta Färbers und Dietmar Böck). Deutlich ist der innere Zweispalt Peter Pans zu spüren, der sich einerseits vehement wehrt, erwachsen zu werden und damit die Konventionen und Werte der Gesellschaft anzunehmen, in die er geboren wurde, und sich andererseits nach der fürsorglichen Zuwendung durch seine Eltern sehnt. Dieser Peter Pan ist eigentlich eine traurige, wenn nicht tragische Figur.

Eine leichte Irritation erfährt der Zuschauer in der Umsetzung der Kind-Mutter-Rolle der Wendy. Von den „Jungens“ wird sie als ’Frau‘ wahrgenommen, obwohl sie noch ein kleines Mädchen ist. Diese Kind-Frau ist nicht rein als das Mädchen, das eine Art Puppenmutter spielt, gezeichnet. Zwischen Wendy und Peter Pan sind deutlich auch schon erotische Spannungen spürbar und die Erklärung dieser Kind-Frau zur Mutter der „verlorenen Jungens“ hat einen ödipalen Beigeschmack. Es ist fragwürdig, inwieweit diese Dimension im Originaltext und auch in der verwendeten Übersetzung von Erich Kästner angelegt ist. Allerdings trägt sie zweifelsohne zur kontrastreichen Ausgestaltung des altbekannten Peter Pan-Stoffs bei und wirkt nicht unpassend.

Gegen die durchaus düsteren Seiten dieser Inszenierung hat Regisseur Wilson jedoch auch viel verbalen und non-verbalen Witz gesät und das Ensemble erntete einige wohlverdiente Lacher. Optisch überrascht Wilson sein Publikum nicht mit stilistischen Neuerungen, überzeugt aber gleichwohl mit einer poetischen Bildsprache, wie sie im gegenwärtigen Theatergeschehen ihresgleichen sucht. Die Kostüme (Jacques Reynaud) gingen sowohl in ihrem Wiedererkennungswert als auch in ihrer Fantasiefülle Hand in Hand mit dem zauberhaften Bühnenbild (Robert Wilson). Den Zuschauer erwartet ein ästhetisches Spektakel, welches allein den Besuch lohnt.

Auch musikalisch hat Wilson wieder einmal einen guten Griff getan: Die deutsch-englischen Songs stammen aus der Feder des US-amerikanischen Dous CocoRosie. Sie sind eingängig und die Texte definieren auf sensible Weise die Aussage der jeweiligen Szene. Die musikalische Umsetzung durch die Dark Angels (Joe Bauer, Florian Bergmann, Hans-Jörn Brandenburg, Christian Carvacho, Dieter Fischer, Jihye Han, Andreas Henze, Stefan Rager und Ernesto Villalobos) ist schwungvoll, euphorisch und macht dem Publikum einfach Spaß. Die Musik ist mitreißend, wie auch der lautstarkn Gesang des Ensembles und dessen wilder Tanz bezeugen.

Die Besetzung dieser Inszenierung ist groß und dabei sensibel gewählt. Als hervorragend ist vor allem die Leistung Christopher Nells als Fee Tinkerbell zu nennen. Er rief in seiner schrullig-spitzen Darstellung dieser sonst Barbie-artigen Figur Begeisterungsstürme und ehrliches Lachen hervor. Mit dieser Interpretation wird er vielen Zuschauern sicher lange Zeit im Gedächtnis bleiben. Des Weiteren ist Traute Hoess in der Rolle der Frau Darling zu nennen. Sie erfüllt diese Nebenrolle mit viel Leben und Gefühl und gewann dadurch gebührende Aufmerksamkeit. Ebenso verdient gefeiert wurde Georgios Tsivanoglou in der Rolle der Tigerlilly. Mit echtem Buschfeuer entflammte er die Publikumsfreude! Sabin Tambrea hingegen war als Peter Pan eher schwach. Die Rolle des ewigen Jungen steht ihm zwar, jedoch interpretierte er sie zu einseitig, zu traurig. Freudenmomente wirkten gequält und man hatte nie das Gefühl, er habe sich noch etwas von dem Kind bewahrt, welches in seinen Fantasien vollkommen aufgeht und sich in Träumen verliert. Diese Peter Pan-Interpretation war trotz der ambivalenten Dramaturgie zu schwermütig. Anna Graenzer als Wendy machte über weite Teile der Aufführung den Eindruck einer aufgezogenen Puppe. Ihr Spiel war mechanisch und kalt. Es ist schade, dass sie dieser Rolle voller Möglichkeiten nicht mehr Leben einzuhauchen vermochte.

Diese Peter Pan-Inszenierung lohnt den Besuch für Erwachsene wie Kinder gleichermaßen. Erwachsene werden vielleicht die Trauer über die verlorene kindliche Fantasie empfinden und sich von Wilson und Peter Pan mitnehmen lassen auf eine prächtige Reise in das Land der ewigen Jungens. Durch und durch eine gelungene Inszenierung und – auch in Zusammenspiel mit dem Programmheft – ein Gesamtkunstwerk.

Magdalena Sporkmann

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