„Stilistisch einwandfrei“: eine Deutschstunde

// Deutschstunde von Siegfried Lenz //

Als am 30. Oktober 2015 der Vorhang nach der Premiere der Deutschstunde fällt, hat das Berliner Ensemble mehr als diesen lauwarmen Applaus der eilig zur Garderobe strömenden Zuschauer verdient. Christoph Hein hat den 1968 erschienenen Roman von Siegfried Lenz für die Bühne bearbeitet. Unter der Regie von Philipp Tiedemann verläuft diese Deutschstunde „stilistisch einwandfrei“.

Peter Miklusz als Siegfried (Siggi) Jepsen und Joachim Nimtz in der Rolle seines Vaters Jens Ole Jepsen liefern sich einen meist leisen, dafür umso qualvolleren Kampf um die Frage nach Pflicht und Menschlichkeit im Nationalsozialismus. Jan Ole Jepsen ist Polizist und überwacht das Malverbot des als „entartet“ eingestuften Malers Max Ludwig Nansen (Martin Seifert). Dabei handelt er weniger aus politischer Überzeugung denn aus Pflichtbewusstsein. Dass er mit Max seit Kindertagen befreundet ist, ändert nichts an Jan Oles Einstellung. Sein sensibler und feinsinniger Sohn Siggi aber fühlt sich von dem unkonventionellen und freigeistigen Künstler verstanden und ist fasziniert von dessen Bildern. In einem tiefen Gewissenskonflikt fühlt sich Siggi zerrissen zwischen der Loyalität seinem Vater gegenüber und der Gefahr, die dessen blinder Gehorsam bedeutet. Siggi versteckt Nansens Bilder vor Jan Ole. Dessen verordnete Zerstörungswut schädigt Siggi nachhaltig, sodass dieser die Bilder Nansens auch nach Kriegsende noch vor seinem Vater retten zu müssen glaubt. Er wird wegen Kunstraubs verhaftet. In der Besserungsanstalt soll Siggi einen Aufsatz mit dem Titel „Die Freuden der Pflicht verfassen“; eine Aufgabe, die in Anbetracht seiner Erfahrung wie ein schlechter Scherz wirkt und die schmerzhaften Erinnerungen des jungen Mannes weckt.

Nicht nur den Hauptdarstellern gelingt es, den Konflikt zwischen Vater und Sohn, zwischen Gewissen und Gehorsam sensibel und packend zu gestalten. Jedes einzelne Ensemblemitglied ist unverzichtbar in dieser Polyphonie des Krieges, die Hein in einem sagenhaften Chor erklingen lässt. In bester Brechtscher Tradition stützt sich auch Tiedemann auf die Zusammenarbeit des Ensembles und lässt verschiedene Perspektiven auf die zentrale Frage nach Schuld und Pflicht im Angesicht eines infernalischen Krieges aufleuchten. Immer wieder fließen die Einzelschicksale der Dorfbewohner, der Bekannten, Freunde und Feinde der Jepsens zusammen und bilden den Hintergrund für höchst atmosphärische Szenen, die ein kollektives Erleben des Krieges illustrieren. Musikalische und rhythmische Intermezzi (Peer Neumann) sowie das vereinheitlichende Kostüm- und Maskenbild (Margit Koppendorfer) verbinden die Figuren zu einer Gemeinschaft. Zusammen erleben sie Fliegerangriffe und in der Brust hämmernde Angst, aber auch die von dem blutigen Krieg scheinbar unberührte Natur, Momente der Schönheit, Gefühle von Heimat und Geborgenheit. Trotz allem. In diesem Widerstreit von Normalität und dem absoluten Ausnahmezustand des Krieges spiegelt sich der Konflikt zwischen Selbstschutz und Mut zur Wahrheit.

Bei aller Drastik enthält sich die Inszenierung jeglicher Wertungen. Ohne zu emotionalisieren oder sich mit einer Haltung zu identifizieren macht sie verschiedene Ansätze für das Publikum zugänglich und ermöglicht die kritische Auseinandersetzung.

Magdalena Sporkmann

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