Helden ihrer Zeit
// Jugend ohne Gott von Ödön von Horváth //
Jugend ohne Gott schrieb Ödön von Horváth in einer Zeit, in der auch erwachsene Männer noch davon träumten, Helden zu sein. Um dieses Ziel zu erreichen, hatten sie anscheinend die Wahl zwischen kaltblütigem Kampfgeist oder todesmutiger Auflehnung gegen das (NS-) System.
Thomas Ostermeier hat in einer Koproduktion der Schaubühne Berlin mit den Salzburger Festspielen den Roman für die Bühne adaptiert. Jugend ohne Gott feierte am 28. Juli in Salzburg und am 7. September 2019 in Berlin Premiere.
Als letztes Stück der Tetralogie der jüngsten Inszenierungen Ostermeiers, in denen sich der Regisseur mit dem Erstarken rechten Gedankenguts beschäftigt, soll Jugend ohne Gott den Blick auf die individuelle Verantwortung, auf Mut und Zivilcourage lenken. Die sehr schematische Gegenüberstellung zweier in der Konsequenz gegensätzlicher, im Ursprung aber gleich antiquierter Männerbilder, bleibt jedoch in ihrer Zeit verhaftet und gibt einem heutigen Publikum nichts an die Hand. Die Helden, Kriege und Männer von heute verstehen sich ja ganz anders als zu Horváths Zeit.
In Thomas Ostermeiers Adaption des Romans Jugend ohne Gott für die Bühne ringt der Lehrer (Jörg Hartmann) nicht nur mit seinen Schülern, die sich allzu leicht von der Kriegspropaganda betören lassen, sondern auch mit seinem inneren Zwiespalt. Er möchte, wenn schon nicht die Welt, so doch wenigstens seine Schüler vor der barbarischen Zerstörungswut des Krieges retten. Seine kritische Haltung gegenüber der Diktatur, deren schärfstes Messer gerade diese Kriegslust ist, kann ihn jedoch seine Anstellung und damit das Ein- und Auskommen, eventuell sogar das Leben kosten.
Die Schüler heißen der Z, der N, der L, der B und der T, der Lehrer ist schlicht der Lehrer. Sie leben in einer Diktatur. Was sich in diesem Klassenzimmer abspielt, so die Botschaft, kann sich, unter bestimmten politischen Vorzeichen, in jedem beliebigen Klassenzimmer ereignen. Das Radio, das Kino, die linientreuen Verwandten und Freunde geben vor, was „man“ zu denken hat und die Jungen reden es nach – aus Angst oder Überzeugung. Widerspricht der Lehrer ihnen aus seinem humanitären Bildungsanspruch heraus, wird er von Vätern und Schulleitung mit dem Verrat bedroht. – So geschehen, als der Lehrer seinem Schüler, der in einem Aufsatz die deutschen Kolonien mit einer angeblichen Unterlegenheit der „Afrikaner“ legitimiert, diesen Schüler mahnt: „Afrikaner sind auch Menschen.“ Im Zwiegespräch vertraut die Schuldirektorin dem Lehrer an, dass sie durchaus seiner Meinung sei, aber ihren Posten und ihr Leben durch die Zeit der Diktatur retten wolle. Von diesem opportunistischen Schweigen lässt sich der Lehrer eine Weile anstecken.
Als die Jungen mit ihm in den Osterferien in ein Zeltlager reisen, um für den Kriegseinsatz zu trainieren, ist der Lehrer nur stiller Beobachter. Jörg Hartmann spielt ihn ohnehin nicht als Mann der Aktion. Seine Interpretation der Figur lässt zwar eine große moralische Emphase vernehmen, die jedoch in dem blutlosen Habitus des Lehrers erlischt. Dessen messianisches Selbstbild wird so zur lächerlichen Pose.
Aus der Perspektive dieses Beobachters werden allerdings die Eigenheiten der Jungen offenbar. Nur N trifft der Vorwurf der Kriegsblindheit zu Recht. Damir Avdic spielt ihn als selbstbewussten, geistlosen, dafür umso Ideologie-treueren Jungen. Bedeutend komplexer ist die Figur des Z (Lorenz Laufenberg). Seine Empfindsamkeit schützt der eifrige Tagebuchschreiber mit großer Gewaltbereitschaft. Nur Eva gegenüber, einem Mädchen, das er auf einem Streifzug durch den Wald kennengelernt hat, zeigt er große Zärtlichkeit. Lorenz Laufenberg gelingt es, Z so ambivalent zu zeigen, dass er bis zuletzt geheimnisvoll bleibt. Auch seine Interpretation des gewieften, aber heuchlerischen Dorfpfarrers weckt zugleich Neugierde wie Abscheu. Der T hingegen, gespielt von Moritz Gottwald, bleibt lange ganz berechenbar: Er ist ein wenig dumm und darum skrupellos. Gewalt ruft in ihm Häme wach. Als die Figur zuletzt doch noch eine überraschende Wende zur Feinfühligkeit vollführen soll, hinkt die vormalige Eindimensionalität der Interpretation hinterher. Diesen Sinneswandel glaubt man nicht. Auch Veronika Bachfischer legt dieselbe Härte in alle Figuren, die sie in Jugend ohne Gott verkörpert. Alina Stiegler hingegen verleiht durch große Sprünge auf der schauspielerischen Klaviatur jeder ihrer Figuren in dieser Inszenierung ein ganz eigenes Wesen. Prominent ist natürlich ihre Darstellung der Eva, in der Sehnsucht und Anschmiegsamkeit mit Unangepasstheit, Wut und Angst kämpfen. Sie windet sich vor Verlegenheit, Misstrauen und Lust. Eva lebt ohne ihre Eltern in einer Höhle im Wald und ist die Anführerin einer diebischen Kinderbande. Ohne Weiteres glaubt man Alina Stieglers Interpretation aber, dass Eva, so anarchisch sie auch leben mag, die einzige ist, die, wenn es darauf ankommt, Mut und Ehrlichkeit beweist.
Denn Horváth stellt seine Figuren auf eine harte Probe: Im Zeltlager wird einer der Jungen erschlagen. Der Lehrer glaubt, aufgrund seiner Beobachtungen, mehr über den Tathergang zu wissen als alle anderen. Dieses Wissen zu offenbaren, würde allerdings bedeuten, eine eigene Verfehlung eingestehen. Nicht nur hat er offensichtlich seine höchste Pflicht als Lehrer, nämlich für das geistige und körperliche Gedeihen seiner Schüler zu sorgen (Der Verlust dieses Menschenlebens scheint ihn gar nicht zu rühren!), verletzt, sondern er hat sich für seine Beobachtungen auch unlauterer Methoden bedient. Als er sich schließlich zur Ehrlichkeit entschließt und offen alles eingesteht, was er weiß und getan hat, ermutigt er damit auch andere zu Geständnissen und dazu, ihre Haltung offen preiszugeben.
Es ist eine im wahrsten Sinne schulmeisterliche Lehre, die dem Publikum hier erteilt wird: Gehe mit guten Beispiel voran, sei mutig, dann ziehen andere nach! Zwar offenbart sich in Ostermeiers Inszenierung, wie kunstvoll Horváth diesen Stoff gestrickt hat (Die Verflechtung der messianischen Sehnsucht des Lehrers mit der christlichen Ostergeschichte und dem Mord/Opfer des Jungen ist hier noch gar nicht erwähnt!), allerdings berührt Jugend ohne Gott in seiner Gemachtheit und Künstlichkeit nicht so richtig. Wäre es vielleicht lohnender, dem Zwiespalt, den Horváth selbst unter dem Druck der Diktatur als Schriftsteller empfunden hat – denn er ist sicher nicht der astreine antifaschistische Autor, als der er oft dargestellt wird - und der sich in Jugend ohne Gott wiederspiegelt, nachzugehen?
Ostermeier stellt der Inszenierung nämlich die Rezitation eines Briefes voran, in dem Horváths Bitte um weitere Publikations- und Aufführungsmöglichkeiten in Nazideutschland u.a. von ihm selbst mit einem öffentlichen Bekenntnis zu eben diesem Deutschland unterstrichen wird. Wie passt die Bitte um Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer zu dem Autor, der Jugend ohne Gott verfasst hat? Klaus Kastberger erhellt in seinem im Programmheft abgedruckten Aufsatz Sich ins Exil schreiben die Horváth-Forschung mit Blick auf dessen Verhältnis zum Nationalsozialismus ein wenig. Diese Erkundungen im Dialog mit dem Text Jugend ohne Gott fortzuführen, wäre ein vielversprechender Versuch.
Magdalena Sporkmann
Foto: Arno Declair
Von: Ödön von Horváth
Regie: Thomas Ostermeier
Bühne: Jan Pappelbaum
Kostüme: Angelika Götz
Video: Sébastien Dupouey
Musik: Nils Ostendorf
Dramaturgie: Florian Borchmeyer
Licht: Erich Schneider
Lehrer: Jörg Hartmann
Z / Pfarrer / Polizist / Junge / Kellner: Laurenz Laufenberg
Eva / Direktorin / Mädchen / Mutter des N / Nelly / Mutter des T / Dienstbotin: Alina Stiegler
T / Innere Stimme des Lehrers / Junge / Gendarmerieinspektor / Kommissar / Staatsanwalt: Moritz Gottwald
Julius Caesar / B / Verteidiger / Junge: Bernardo Arias Porras
Feldwebel / Richter / Stimme des Vaters / Polizist / Kellner / Schüler / Dorfbewohner / Dienstbote: Lukas Turtur
L / Mutter des Z / Innere Stimme des Lehrers / Stimme der Mutter / Ein Fräulein / Lehrerin / Forensikerin / Kellnerin / Filmschauspielerin: Veronika Bachfischer
N / Vater des N / Bürgermeister / Bauer / Diener bei T / Hauptkommissar / Kellner: Damir Avdic