Mein Deutschland
// Fear von Falk Richter //
„Okay, das reicht jetzt. Hören wir auf!“ sagt Tilman Strauß zu Alina Stiegler. Der Schauspieler streift sich das silbern glitzernde Paillettenkleid von den Schultern und gesteht dem Publikum, man müsse echt aufpassen, wenn man die ganze Zeit dieses braune Zeug nachquatscht. Man komme da schwer wieder raus, weil das wie so ein brauner Schleim an einem klebt. Alina Stiegler nickt. Die beiden schütteln sich. Es schütteln sich auch die übrigen Darsteller im Hintergrund. Vor Ekel. Vor Grausen vielleicht. In Falk Richters am 25. Oktober 2015 an der Schaubühne am Lehniner Platz uraufgeführten Stück Fear nehmen acht Schauspieler und Tänzer die Rolle verschiedener Menschen ein, deren politische Gesinnung als extrem rechts bezeichnet werden kann. Unter ihnen Anhänger von Pegida und Bagida, Demonstranten gegen ein Asyl für Flüchtlinge, gegen die Akzeptanz und Gleichstellung verschiedener sexueller Orientierungen sowie prominente Personen politischer und religiöser Vereinigungen.
Ein Glaskasten steht erhöht wie eine Kommandozentrale über der Szene. Über Stege und Treppen turnen, tanzen, kriechen und winden sich Tänzer und Schauspieler auf die Bühne hinab. Das wandelbare und ästhetisch reizvolle Bühnenbild von Katrin Hoffmann lässt abwechselnd die Atmosphäre mit Aggressionen aufgeladener Demonstrationen und idyllischer Großstadtgartenprojekte entstehen. Bjørn Melhus unterstützt mit assoziationsreichen Videos die emotionale Wirkung der Szenen und stellt die Protagonisten der Hasspropaganda in schier endlosen Wiederholungen aus.
Die Ergänzung des Schauspiels durch getanzte Passagen bietet dem Publikum immer wieder die Möglichkeit aus der faktenlastigen Handlung aus- und in die dichte Atmosphäre des Gefühlschaos‘ der Protagonisten einzusteigen.
Falk Richter nähert sich in Fear der Angst, die diese Menschen dazu treibt, sich radikalen Gruppierungen anzuschließen und gewaltsam für die Durchsetzung ihrer Überzeugung zu kämpfen. Sein Textmaterial stammt dabei zu einem großen Teil aus tatsächlich existenten Interviews mit den betreffenden Personen. Diese äußern, dass sie sich von den Flüchtlingen, die heute und in den vergangenen Monaten nach Deutschland einreisten, bedroht fühlen. Sie fürchten Kriminalität, Krankheiten und – dies vor allem – die Verdrängung ihrer deutschen Identität. Ihre Angst vor dem Aussterben der Deutschen wird noch befeuert durch die wachsende gesellschaftliche und politische Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Die Befragten fürchten ganz manifest eine zurückgehende „Reproduktion“ der „Deutschen“ und im Gegenzug eine wachsende Anzahl von Bürgern mit Migrationshintergrund. Es ist ganz gleich, wie ungerechtfertigt diese Ängste erscheinen mögen. Sie haben realistische und ernstzunehmende Konsequenzen. Diese Menschen schließen sich Rattenfängern an, deren Parolen das düstere Kapitel des Nationalsozialismus wieder ganz gegenwärtig erschienen lassen.
In Fear wird nicht von Neonazis, sondern von Zombies gesprochen. Die Nazis und ihre Ideologie habe man nach ’45 „ausgestorben“ geglaubt, aber plötzlich kämen sie alle aus ihren Gräbern und schlichen sich als Zombies unter die „anderen“ Menschen. Im Grunde ist diese Metapher verharmlosend und verfälschend. Weder ist das nationalsozialistische Gedankengut mit dem Dritten Reich untergegangen, noch handelt es sich bei den aktuellen extrem rechten Strömungen um dieselben Tendenzen wie vor achzig, neunzig Jahren. Es ist zwar erschreckend, wie stark die mediale und personale Präsenz der extremen Rechten heute ist, jedoch kommen diese Leute und Gedanken nicht wie Gespenster aus einer lang vergessenen (oder verdrängten) Zeit. Es hat sie zu jedem Zeitpunkt seit 1945 in Deutschland gegeben.
Falk Richter und sein Ensemble thematisieren die Ängste dieser Menschen, ohne sie bloßzustellen. In der eindringlichen Aneinanderreihung von Interviews und Reden wird vor allem eines deutlich: Die mediale Präsentation der Faktenlage löst bei manchen Menschen in ihrer emotional aufgeladenen Ausdrucksweise ein Gefühl der Bedrängung aus, das sich, befeuert durch die Panikmache betreffender politischer und religiöser Hassprediger, zu einer regelrechten Paranoia auswächst. Richter macht in der Übertreibung eine Angstdynamik sichtbar, in der plötzlich deutlich wird, wie Menschen die „Flüchtlichsströme“ bedrohlich finden können, die auf ihre „blühenden Landschaften“ Deutschlands zurollen und über kurz oder lang die Bevölkerungsstruktur merkbar verändern werden. Ohne jegliches Verständnis für die ablehnende Haltung den Flüchtlingen gegenüber, jedoch auch ohne Moralkeule stellt Richter dar, wie verschiedene Menschen in Deutschland auf die aktuellen Ereignisse reagieren. Es geht ihm darum, die Angst zu mindern, indem sie zunächst als manifest anerkannt wird. Dazu zitiert das Programmheft Heinz Bude: „Man kann aber niemanden davon überzeugen, dass seine Ängste unbegründet sind. Ängste lassen sich in Unterhaltungen darüber höchstens binden oder zerstreuen.Voraussetzung dafür ist freilich, dass man die Ängste seines Gegenübers akzeptiert und nicht bestreitet.“ Fear ist insofern eine Geste, mit der Falk Richter zeigt, dass er die Angst vor den Flüchtlingen ernstnimmt. Seine eindringliche Darstellung schafft ein Bewusstsein für diese Angst, die, wird sie nicht besänftigt, selbst zur Bedrohung werden kann.
Richter zeigt auch die „Anderen“. Das sind nicht etwa jene, die Verständnis für die Situation der Flüchtlinge zeigen und ihre Einreise akzeptieren; die sich vielleicht dafür einsetzen, dass die Reise dieser Menschen sicherer und angenehmer wird; die vielleicht ihre neuen Nachbarn willkommen heißen und ihnen helfen, in Deutschland Fuß zu fassen. Die „Anderen“ sind für Richter diejenigen, die sich weder für noch gegen Flüchtlinge positionieren. Zwar sprechen sie sich vehement gegen die rechten Strömungen aus, aber sie treten nicht für etwas ein. Diese „Anderen“ ziehen sich auf eine höchst individualistische Weltsicht zurück, die sie als Toleranz gegenüber jedwedem Lebensentwurf tarnen. Ihre fehlende politische Haltung kompensieren sie mit Bekenntnissen zu Kunst- und Lifestyletrends. Statt sich in den politischen Diskurs einzumischen oder gesellschaftlich aktiv zu werden, frönen sie lieber die Freuden der Häuslichkeit. Bewusst bezeichnet Richter diesen zur Pose erstarrten Individualismus und Nihilismus nicht als Alternative zu „den Braunen“.
Vielmehr scheint es, dass auf beiden Seiten ein Gefühl der Orientierungslosigkeit herrscht. Je nachdem in welcher Lebenssituation sich die einzelnen Protagonisten befinden, erwächst daraus entweder Angst oder Gleichgültigkeit. Man könnte auch sagen, die Menschen nehmen die Haltung ein, die sie glauben, sich leisten zu können.
„Good bye, talk to you later“, heißt es am Schluss. Das letzte Wort will Falk Richter nicht behalten.
Magdalena Sporkmann
Darsteller: Bernardo Arias Porras, Denis Kuhnert, Llise Risom Olsen, Kay Bartholomäus Schulze, Alina Stiegler, Tilman Strauß, Frank Willens, Jakob Yaw
Regie: Falk Richter
Bühne: Katrin Hoffmann
Kostüme: Daniela Selig
Musik: Malte Beckenbach
Video: Bjørn Melhus
Dramaturgie: Nils Haarmann
Licht: Carsten Sander
Foto: Arno Declair