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// Rückkehr nach Reims nach Didier Eribon //
Mit Rückkehr nach Reims, einer Art Live-Dokumentarfilm, wagt Thomas Ostermeier an der Schaubühne Berlin einen ästhetisch wie dramaturgisch reizvollen Versuch, der so lange glückt, wie der Regisseur nicht versucht, daraus ein Theaterstück zu machen. Die Premiere fand am 24. September 2017 statt.
Ein Tonstudio (Bühne: Nina Wetzel). Die Schauspielerin Katrin (Nina Hoss) spricht den Text zu einem Dokumentarfilm ein (Filmregie: Sébastien Dupouey und Thomas Ostermeier). Der Film, dessen Bilder für das Publikum sichtbar auf einer großen Leinwand mitlaufen, basiert auf Didier Eribons autobiografischem Essay Rückkehr nach Reims und begleitet den Autor auf einer Erinnerungsreise in seine Heimatstadt Reims. Jahrzehntelang hatte der französische Soziologe den Ort seiner Kindheit und Jugend nicht besucht. – Die Kleinstadt mit ihren engstirnigen Bewohnern, seine Arbeiterfamilie mit dem alkoholkranken, aggressiven Vater, war kein guter Ort für den schwulen Intellektuellen, zu dem Eribon heranwuchs. In Paris konnte er sich freier entfalten. Eine Rückkehr ist ihm erst nach dem Tod seines Vaters möglich geworden.
Die Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit stößt ihn auch auf die blinden Flecke der gesellschaftlichen Gegenwart: die brutalen Exklusionsmechanismen ebendieses Bürgertums, dem er selbst nun angehört, sowie die Realität einer einstmals kommunistischen Arbeiterklasse, die, vergessen und ohne Repräsentation, den Rechtspopulisten des Front National in die Arme rennt. Wie konnte es dazu kommen? Was ist der Anteil der Linken daran, was sein eigener als Intellektueller, der seine Herkunft verleugnet? – In diesen Fragen, die sich Eribon in der Rückkehr nach Reims stellt, offenbart sich die besondere Qualität seines Textes: Er erkennt in seinen persönlichen Erinnerungen und Erlebnissen allgemeine gesellschaftliche Tendenzen und gelangt so zu gesellschaftlich relevanten und allgemeinen Betrachtungen.
Eine Qualität, die sowohl der fiktive Regisseur des Dokumentarfilms (Hans-Jochen Wagner) als auch Thomas Ostermeier zu verkennen scheinen. Zwar offenbart sich in der Entscheidung des Filmregisseurs, im zweiten Teil seines Films die biografischen Züge zu reduzieren und dafür die theoretischen Überlegungen in den Vordergrund zu stellen, die nicht selten geäußerte Kritik an Eribons Rückkehr nach Reims, dass der Anteil des Biografischen und der persönlichen Befindlichkeiten des Autors zu groß sei. Doch Thomas Ostermeier integriert bewusst Szenen in die rahmenhafte Bühnenhandlung, die Parallelen zwischen Eribons Text und den Biografien der Bühnenfiguren herstellen. So lässt den Tonstudiobesitzer (Renato Schuch) über den Vermietungspreis des Tonstudios verhandeln, indem er sich als Ernährer seiner Familie präsentiert. Er zeigt den Filmregisseur als sexistischen und intellektuell-überheblichen Bourgeois, der sich in seiner vorgeblichen Offenheit gefällt, als er den Tonstudiobesitzer und Hobby-Rapper bittet, ihm eine Kostprobe seines Können zu geben. Gönnerhaft zieht er in Betracht, dessen Rap als Soundtrack zu verwenden. – Eine reine Bestechungsmaßnahme, um den Mietpreis für das Studio zu drücken.
Foto: Arno Declair
Schließlich gerät der Filmregisseur mit Katrin in eine Diskussion über ihre eigenen Haltungen. – Katrin fühlt sich durch Eribons Biografie und Gedanken an ihren eigenen Vater und dessen (gesellschafts-)politisches Engagement erinnert. Sie erzählt von ihrem Vater, einem sehr aktiven Gewerkschafter und schließlich auch Bundestagsabgeordneten und Mitbegründer der Grünen. Diese Biografie scheint im Übrigen identisch mit der von Nina Hoss' Vater. Auf der Leinwand erscheinen plötzlich Handyfotos und -videos von Nina und Willi Hoss, wie sie einen indigenen Stamm am Amazonas besuchen. Diesen Indigenen hatte Willi Hoss, der im Video zum Ehrenhäuptling gekrönt wird, eine Wechselbewirtschaftung ihrer Ackerflächen beigebracht, um sie von der Abholzung weiterer Regenwaldgebiete abzuhalten. So außergewöhnlich sein Engagement sein mag, es findet in der Inszenierung von Rückkehr nach Reims keinen Platz. Die Geschichten von Eribon und Katrin bleiben unverbunden, weil Katrins Geschichte nur das Persönliche und nicht das Allgemeine enthält. Die bis dahin spannende und atmosphärisch gelungene Inszenierung wird so im letzten Teil langweilig und belanglos, weil sie über die schiere Selbstdarstellung nicht mehr hinauskommt. So fällt Ostermeiers Rückkehr nach Reims der Kritik am zu Persönlichen selbst zum Opfer.
Magdalena Sporkmann