Deutsche Lieder
// Lö Grand Bal Almanya von Nurkan Erpulat //
„Wir sind jetzt hier, weil wir damals gekommen sind“, kalauert Sesede Terziyan in der Rolle einer Deutsch-Türkin, die (oder deren Vorfahren) in den 1960er Jahren als Gastarbeiterin nach Deutschland gekommen ist. Sie ist eine von vielen, die als kunterbuntes Ensemble (Kostüme: Pieter Bax) von den skurrilen und traurigen Erfahrungen der türkischen Gastarbeiter und ihrer Nachfahren in Deutschland erzählen.
Autor und Regisseur Nurkan Erpulat zeichnet in Lö Grand Bal Almanya ein Psychogramm von „57 Jahren Scheinehe“ zwischen Deutschen und Türken. Diese Neuinszenierung feierte am 25. Mai 2018 im Maxim Gorki Theater Berlin Premiere.
57 Jahre nach dem deutsch-türkischen Anwerbeabkommen begibt sich das „Singspiel“ auf eine Zeitreise durch sechs denkwürdige Dekaden der Arbeitsmigration, besungen mit deutschem Liedgut und dokumentiert durch Archivmaterial. Auf dem Weg begegnen wir dem millionsten Gastarbeiter (Tanju Girişken), der bei seiner Ankunft 1964 ein Moped bekommt, dass sich leider als Besen entpuppt. Wir sehen der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an zwei türkischstämmige Frauen zu. – Die eine (Elmira Bahrami) bekommt es, weil sie dem Städtchen Solingen treu bleibt, obwohl dort ihre Familienmitglieder von Neo-Nazis ermordet wurden. Die andere (Sesede Terziyan) ist Soziologin und biedert sich mit kritischen Äußerungen die Integration ihrer Landsleute betreffend bei den Deutschen an.
Diesen Geschichten widmete sich Nurkan Erpulat bereits 2010 in Lö Bal Almanya am Ballhaus Naunynstrasse. „Die Neuinszenierung am Gorki zeigt nicht nur einen Tapeten-, sondern vor allem einen Paradigmenwechsel. Denn in den letzten acht Jahren hat sich „Doyçland“ fast bis zur Unkenntlichkeit verschönert“, heißt es in der Ankündigung des Gorkisarkastisch. Die rechtsextremen Tendenzen der jüngsten Zeit werden schonungslos in Hassparolen auf die Bühne gebracht. Die darin beschworene Gleichheit und Einheit der Deutschen wird illustriert durch z.T. deutsches Liedgut, einem Zeugnis vermeintlicher Überlegenheit der kulturellen Leitkultur gegenüber allen „fremden“ Einflüssen. – Ein lohnender Einfall, der technisch ambitioniert vom Ensemble ausgeführt wird (Live-Musik: Tobias Schwencke).
Leider neigt Erpulat dazu, das Stilmittel der Wiederholung bis zur Langeweile auzuschlachten. Die zwei Stunden Spieldauer könnten um wenigstens 30 Minuten gestrafft werden, um die Aussage des Stücks pointierter zu formulieren.
Magdalena Sporkmann
Mit: Emre Aksizoğlu, Željko Marović, Elmira Bahrami, Tanju Girişken, Katharina Koch, Loris Kubeng, Sesede Terziyan, Mehmet Yilmaz
Text: Nurkan Erpulat, Tunçay Kulaoğlu
Regie: Nurkan Erpulat
Dramaturgie: Tunçay Kulaoğlu
Bühne: Alissa Kolbusch
Kostüme: Pieter Bax
Musik/Live-Musik: Tobias Schwencke
Licht: Hans Leser
Ton: Hannes Zieger