Grandios konfus

Drei lange Jahre hat es gedauert, bis ich dem Ruf des Globe Theaters Berlin nach Charlottenburg gefolgt bin. Dabei kann man dort großartiges Volkstheater erleben. Das flüsterte mir die Mundpropaganda und so war die dritte Spielzeit unter dem Motto "Zorn und Zuflucht" Anlass für ein Kennenlernen. Das eigentliche Globe Theater steht noch gar nicht. Bislang wird noch auf der provisorischen Open Air-Bühne Open-O gespielt. Gut Ding will Weile haben: Das Projekt, das Christian Leonard, Gründer der Shakespeare Company Berlin und künstlerischer Leiter des Globe Berlin, auf der Mierendorff-Insel verfolgt, ist ambitioniert. Auf eigene Kosten hat er das Schwäbisch Haller Globe Theater, einen Nachbau des legendären Londoner Shakespeare-Theaters, abbauen, nach Berlin transportieren und einlagern lassen. Ist es eines Tages dort aufgebaut, bietet es bis zu 600 Besucher:innen Platz und soll Aufführungsort für Shakespeares Gesamtwerk in deutscher und englischer Sprache durch das Globe Ensemble Berlin sein.

In dieser Spielzeit feierte am 6. Juni 2021 die "Komödie der Irrtümer" in neuer Übersetzung und unter der Regie von Christian Leonard Premiere. Mit der Verwechslungskomödie um zwei Zwillingspärchen, die in Ephesos an der türkischen Ägäisküste spielt, lädt das Ensemble das Publikum in "eine dezent inkorrekte orientalische Phantasie" und auf "rasanten Irrsinn" ein. Im Programmheft schlagen die Theatermacher:innen gedanklich eine Brücke zu den 80 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, insbesondere zu jenen, die auf ihrem Weg nach Europa in Lagern auf Inseln der Ägäis stranden – in dem Gebiet, in dem die "Komödie der Irrtümer" spielt. Als Reminiszenz an diese Geflüchteten, wurde der ursprüngliche Theatertext gekürzt und um ins Deutsche übersetzte und vertonte Gedichte aus dem arabischen Sprachraum ergänzt.

Doch auch ohne dieses Wissen funktioniert diese Inszenierung der "Komödie der Irrtümer" ausgezeichnet. Dramentext und Lyrik ergänzen einander wunderbar und sind so gekonnt ineinander verstrickt, dass sie aufs Angenehmste ab und zu eine leichte Irritation auslösen: Steht das wirklich so im Shakespeare-Original? Ertönt das "Regenlied" zufällig mitten im sommerlichen Wolkenbruch? Fällt hier ein Darsteller aus seiner Rolle? Das Verwirrspiel findet auf allen Ebenen statt: Handlung, Sprache und Raum. Im Open O findet sich das Publikum nämlich in einem 'umgekehrten Globe' wieder: In der Mitte des Runds stehen Stühle, kreuz und quer durcheinander. Hier sitzt das Publikum. Die Bühne (Ira Storch-Hausmann) verläuft leicht erhöht rings herum, eingefasst von bunten Stoffsegeln – vielleicht Baldachine oder Markisen auf dem Markt von Ephesos, vielleicht Segel der Schiffe im Hafen – herrlich schlicht und atmosphärisch.

Die Schauspieler:innen bewegen sich auf der umlaufenden Bühne um das Publikum herum, sodass dieses immerzu den Blick wenden muss. Das ist Volkstheater im allerbesten Sinne: unterhaltsam, nah dran und überraschend.

Nicht nur der Text, sondern auch die Besetzung wurden reduziert. Matthias Horn (Antipholus) und Andreas Sindermann (Dromio) spielen jeweils beide Parts der Zwillingspärchen und lassen sich dabei auch selbst ehrlich verwirren: "Trotz heißen Bemühens während der Proben, die Logik nicht völlig außer Acht zu lassen, wussten wir bei den einzelnen Kürzungen und Doppelrollen am Ende selbst nicht mehr, wer jetzt eigentlich wen (er)kennen muss, wer die Kette gerade besitzt und wer ein Schiff buchen oder einen Strick suchen soll." Anja Lechle (Adriana) und Johanna Paliege (Luciana, Emilia) würzen das chaotische Treiben der Männer mit Schimpf und Schmeichelei. Sie schlagen dem vermeintlich falschen Ehemann die Haustür vor der Nase zu und hauen ihn, als ihn die Verquickung der Umstände ins Gefängnis bringt, doch wieder heraus. Dieser Konfusion gibt man sich gern hin, denn die Sprachspiele, die charmanten Ukulelen-begleiteten Gesangseinlagen und jede Menge Spiellust unterhalten prächtig.

Das honoriert das Publikum mit lautem Lachen, Szenen-Applaus und stoischer Gelassenheit gegenüber gelegentlich widriger Witterung. Im Plastik-Regenponcho, umringt von Gelächter, Versen und Musik (Bernd Medek) präsentiert sich dieses erste Kennenlernen mit dem Globe Berlin als Anfang einer langen Freundschaft.

Fotos: Thorsten Wulff

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