Zeitdiebe und Elternmörder

// Der Plan von der Abschaffung des Dunkels nach einem Roman von Peter Høeg //

Die Wände kommen näher und die Zeit rennt davon. - Peter und Katharina leben in einer Privatschule. Pünktlichkeit gilt dort als größte Tugend. Doch was geschieht, wenn jemand sich nicht an das strenge Regiment hält? Mit dem neuen Schüler August kommt auch das Chaos und die Kinder finden heraus, dass man der Zeit nicht einfach ausgeliefert ist, sondern sie selbst erschaffen kann.

Der Plan von der Abschaffung des Dunkels ist die Bühnenadaption des Romans Die beinahe Geeigneten von Peter Høeg. Regisseurin Nora Schlocker bringt sie mit dem Jungen DT auf die Bühne des Deutschen Theaters Berlin. Premiere war am 12. Februar 2019.

Was wie eine poetische Metapher über das kindliche Begreifen des subjektiven Empfindens von Zeit klingt, entpuppt sich als düsteres Portrait physischer und psychischer Gewalt gegen Kinder: Zwänge, Demütigungen, Schläge, Vernachlässigung. Dem unfähigen oder verstorbenen Elternhaus entrissen, sollen die Kinder nun auf dem engen Weg, den ihnen die Privatschule vorzeichnet, „ans Licht“ geführt werden. Dort dient die Zeit als Normierungsinstrument und formuliert einen Anpassungsdruck, der große Angst erzeugt.

Das 15-köpfige Ensemble junger Laiendarsteller_innen zwischen 12 und 22 Jahren leiht den Protagonist_innen verschiedene Gesichter. Alle stecken in derselben grauen Hose und weißen Bluse, aber ihre Stimmen, Körper, Temperamente könnten unterschiedlicher nicht sein. Der Plan der Regisseurin, dass die Figuren dadurch „wachsen“ und vielschichtiger werden, sodass das erzählte Einzelschicksal eine Allgemeingültigkeit erlangt, geht auf. Es entsteht ein lebendiges Bild des wundersamen schöpferischen Reichtums, den allein die Kindheit birgt. Katharina, Peter und August sind dabei zunächst eine Schicksalsgemeinschaft im Kampf gegen die Bedrohung ihrer Kindlichkeit durch die Erwachsenen, aber sie entfalten in diesem Kampf eine Kraft, die sie bewusst füreinander einstehen lässt. In der Gemeinschaft finden Peter und Katharina ihren persönlichen Weg zum Licht – und zwar durch Liebe, nicht durch Gehorsam.

Licht und Dunkel sind auch die bestimmenden Elemente des Bühnenbildes. Die vermeintliche Rückwand der Bühne bildet ein Spiegel. Bei entsprechender Beleuchtung wird er durchsichtig und gibt den Blick auf den – wesentlich größeren – Bühnenraum dahinter frei. Zunächst undurchdringlich wird diese Spiegelwand bald zu einem Tor, durch das die Kinder frei wandeln können, wie durch die Zeit. Aus Gefangenen der Zeit werden so Herrscher_innen der Zeit.

Der Plan von der Abschaffung des Dunkels inszeniert als Vision die Ermächtigung der Kinder gegen die Unterwerfung durch ihre Eltern und Erzieher_innen. Diese starke und bewegende Anklage gegen autoritäre Erziehungsmaßnahmen und unsinnige (vermeintlich erwachsene) Erwartungen gegenüber Kindern ist harter Tobak für Publikum wie Darsteller_innen: Auf der Bühne wird geschubst, geschlagen, an den Haaren gezogen, ins Gesicht getreten, werden Knochen gebrochen und Menschen mit Benzin übergossen.

Warum muss Folter eigentlich immer wieder szenisch nachgestellt werden? Schließlich vertraut die Regisseurin auch auf die Vorstellungskraft des Publikums als sie August erzählen lässt, wie der Erzieher sich immer auf seine Füße stellt, während er ihm seine Medizin verabreicht: „Ich kann dann nirgendwo hin.“ Diese Geste der Unterwerfung ist allein in der Erzählung so schmerzhaft und der bescheidene Zusatz des gedemütigten Kindes so traurig, dass sie sich in die Erinnerung prägen. Einen erniedrigenden Akt stattdessen zu reinszenieren, verstärkt ihn auf groteske Art und Weise.

Magdalena Sporkmann

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